Anett Arnold, Buchbinderin

Ich habe hier ein antiquarisches Buch, das war total zerfleddert, da mache ich eine aufwändige Papierrestaurierung. Das waren alles Einzelteile. Das Buch ist von 1743, ein sehr seltenes Buch über Kräuter. Der Auftrag kommt von Privat. Es kommen auch Aufträge von Museen, aber ich habe auch erstaunlich viele private Kunden.

Ein antiquarisches Buch

Die Seiten waren stark beschädigt und an den Rändern ausgefranst, das wird dann alles wieder ergänzt. Der Buchblock war total deformiert, den mussten wir wieder in die Rundung bringen. Und dann gibt es eine neue Lederdecke, das alte Leder war sehr stark geschrumpft. Dafür wird das alte Leder auf neues Leder aufgeklebt, sonst hätte ich das gar nicht mehr verwenden können. Das alte Buch hatte einen Pappdeckel, da haben wir auch wieder einen Pappdeckel vorgesehen; noch früher hat man mit Holzdeckeln gearbeitet, bis ungefähr 1700nochwas. Dann wurden diese Holzdeckel, die ziemlich aufwändig sind, durch Pappdeckel ersetzt, das war billiger.

Jede Seite wird einzeln repariert, neu aufgehängt und gebunden, zum Teil auch gesäubert. Und dann kann man wieder darin blättern. Das Auffüllen machen wir mit Japanpapier, wir reißen einzelne Papierschnipsel und kleben sie auf, es wird alles so gerissen, dass es ungefähr diese Form ergibt. Dann wird das dort angesetzt und eingepresst, sodass man es möglichst nicht so sehr sieht. Hier mussten wir nicht so viel reparieren, aber zwei Wochen sitzt man da schon durchgängig dran.
Einige Seiten fehlen, es geht erst mit Seite 7 los, da bringen wir dann Fälze ein. Wenn der Kunde die Seiten irgendwo mal bekommt, antiquarisch oder fotokopiert oder wie auch immer, dann kann man sie hier noch nachträglich einkleben.

Antiquarisches Buch

Buchbinderin

Ich habe 20 Jahre als Landschaftsarchitektin gearbeitet. Dann habe ich Buchbinderin gelernt. In der Architekturplanung bist du manchmal jahrelang mit einem Projekt beschäftigt und siehst eigentlich nicht, wie du vorankommst. Wenn du dann noch eine Bürgerbeteiligung hast, dauert es ewig, bevor ein Projekt endlich ausgeführt wird. Das war für mich mit ein Grund zu sagen: ich möchte am Tagesende einfach etwas Schönes sehen. Landschaftsarchitektur ist auch toll, ich liebe den Beruf immer noch. Ich fand es aber auch spannend, noch mal was Neues zu machen. Da war ich 42. Das ist natürlich ein bisschen schräg, aber es ging gut, es war ein guter Zeitpunkt. Mein Sohn ist zum Studium nach Berlin gegangen, und ich konnte noch mal etwas Neues machen. Vorher hatte ich schon lange als Hobby gemacht. Die Landschaftsarchitektur habe ich genutzt, um meine Kapriolen zu finanzieren, meine Lehre, denn ich habe natürlich kein Bafög oder sowas bekommen. Und so habe ich einfach etwas Neues angefangen. Das finde ich immer noch toll, aber die Landschaftsarchitektur fehlt mir auch. Manchmal mache ich noch eine Gartenreise, aber aktiv mache ich nichts mehr, höchstens nebenbei mal einen Privatgarten. Aber mein Tiefkühlfach ist immer noch voller Pflanzensamen. Da passt keine Spinatpackung mehr rein.

Buchbindermaterialien

Ich mache ganz unterschiedliche Sachen. Studenteneinbände zum Beispiel – Bachelorarbeiten, die wir binden, da werden einfache Pappdeckel aufeinanderkaschiert, mit einem Gelenk, die wollten das so roh, überhaupt nicht bezogen. Dann werden die hier gebohrt und bekommen eine Buchschraubenbindung, das ist etwas ganz Einfaches. Und darin verschwindet dann diese Bachelorarbeit. Meistens sind es Arbeiten aus dem gestalterischen Bereich. Ganz viele Modeleute kommen hierher, oder Kommunikationsdesigner, die ihre Abschlussarbeiten hier binden lassen.

Leimpinsel

Werkzeug

Am allerliebsten mache ich die Tüftelarbeit. Wenn jemand etwas Besonderes ausgeschnitten haben möchte, eine bestimme Form oder so. Das macht viel mehr Spaß, als wenn ich jetzt 55 Exemplare in Serie fertige. Es sind vor allem die Spezialarbeiten, die mich reizen. Oder wenn jemand ein besonderes Papier haben möchte, das man extra anfertigt.
Das sind dann meist Buntpapiere, die wir auch selbst machen. Dazu wird Papierfaser abgegautscht, dann werden Streifen eingelegt, noch mal eine Schicht übergegautscht und dann gepresst.

Papierrollen

Der Anteil an Kreativem ist sehr hoch, es sind ja alles Unikate, und die Leute lassen mir relativ viel Freiraum. Das ist toll. Manchmal bekomme ich nur ein Papier, mit dem ein bestimmtes Buch gebunden werden soll, und dann kann ich mir selbst überlegen, welche Bindeart ich verwende und alles andere. Erstmal ist das ein großes Vertrauen, weil ich ein Original verarbeite, und dann kann ich mir auch noch selbst überlegen, wie ich es umsetze. Das ist schon toll.

Handwerk und Kreatives sind sehr eng verzahnt. Viele fragen auch, ob ich Grafikerin bin. Ich glaube, da kommt mein erster Beruf mir sehr zu Hilfe. Layout, Farbgestaltung, Farblehre, Grundaufbau, das haben wir im Studium ja auch alles gehabt.

Papier

Wir haben gerade diese Buchkassetten gefertigt, anderthalb Monate lang, für ein Antiquariat in der Schweiz, da haben wir quasi wochenlang durchgearbeitet. Die sind für alte Bücher, im Prinzip Verpackungen, alle in unterschiedlichen Größen, um die wertvollen Bücher sicher aufzubewahren. Dieses Antiquariat verkauft Bücher für sechsstellige Beträge, und dafür lassen sie solche Kassetten fertigen. Mit Lederbezug und Handvergoldung und allem.
Was die Bücher kosten, die dann da reinkommen, habe ich gar nicht nachgeguckt. Wir bekommen auch nur die Maße, nicht die Bücher. Das ist ziemlich zeitaufwändig, wir haben 20 Stück davon gemacht. Aber es macht auch Spaß.

Book of hours

Ich glaube, man muss ein Netzwerk aufbauen, in dem viele Leute miteinander arbeiten, sodass man Aufträge breiter fächern kann. In letzter Zeit musste ich viel weggeben – ich wollte keine Aufträge ablehnen. Da brauche ich Leute, die mir helfen.
Und ich arbeite dann natürlich auch mit Leuten aus anderen Bereichen zusammen, mit Metallbauern oder mit Menschen, die Leder oder Gold bearbeiten.
Kontakte sind das A und O. Wenn ich etwas selbst nicht kann, dann muss ich irgendwo hingehen können. Zum Beispiel diese Schließen, die ich hier bei dem alten Buch anbringen muss, da brauche ich einen Goldschmied, der mir hilft. Ich muss meine Schuhe ja auch nicht selbst besohlen, da kann man zu jemandem gehen, der das besser kann. Das finde ich viel logischer.
Heute habe ich mit einem gesprochen, der macht Stahlstiche. Ich muss einen alten Adelsbrief rekonstruieren, ein teures Teil, das ist groß und hat aufwändige Goldprägungen. Da habe ich diesen Stahlstecher angerufen, ob er mir helfen kann, und er sagte: nee, geht nicht. Aber dann hat er zurückgerufen und gesagt, er hat nach mal darüber nachgedacht, und wenn wir es so und so machen, dann kriegen wir es doch hin. Das finde ich toll. Ich habe sofort gefragt, kann ich dabei sein? Wenn andere auch irgendwie versuchen, etwas hinzukriegen, das ist das allerschönste. Es geht nämlich alles, es geht immer alles irgendwie. Das finde ich toll. Das macht so einen Spaß!

Anett Arnold

»Mein Tiefkühlfach ist immer noch voller Pflanzensamen. Da passt keine einzige Spinatpackung mehr rein.«

Buchbinderei Hartmann, Inh. Anett Arnold

10 Kommentare

  1. Ich habe gerade das Bedürfnis Buchbinderin zu werden.

    • Ja, ging mir nach dem Besuch auch so. Ich wollte dringend etwas mit den Händen machen.

  2. Es ist unfassbar, welch interessanten Berufe und Beschäftigungen es gibt. Wunderbarer Artikel über eine inspirierende Frau mit Berufung. Danke.

  3. Hier mitlesen macht auch wahnsinnig Spaß! Es ist toll, diese Menschen ein bisschen kennenzulernen, die soviel Liebe und Herzblut in ihre Arbeit stecken. Vielen Dank für diese tolle Blog-Idee!

  4. Ein klasse Beitrag zu einem beeindruckenden Werdegang. Von Personen, die ausgehend von einem Ausbildungsberuf ins Studium und anschließend in einen akademischen Beruf wechseln, hört man ja doch ab und zu; über die umgekehrte Richtung – noch dazu mit kompletter Neuorientierung – wird allerdings viel weniger berichtet. Herzlichen Dank dafür!

  5. wie immer wundervoll geschrieben!

  6. Danke! Für eure tolle Idee, für die Zeit und Mühe der Recherche, für die schönen Fotos und die spannenden Geschichten!

  7. Schon wieder großartig – zumal der Mitbewohner vergangene Woche drei Bücher von der Buchbinderin holte und sie ein wenig ausfragte, wie sie seinen Auftrag umgesetzt hatte. Es waren kleine antiquarische Bücher gewesen, die ihm halt am Herzen gelegen hatten und die auseinander fielen. Nun sind sie wieder ganz und hübsch, was aber ganz offensichtlich viel Arbeit gekostet hat. Die 40 Euro pro Buch waren sie ihm wert.

  8. Oh, wie schön! Buchbinderei ist ja wohl neben Architektur eine der wunderbarsten Tätigkeiten … es werden ja quasi auch Wohnungen für Bücher gebaut ;) Ich mag so sehr diese Materialien und diese fabelhaften Fachausdrücke! Während des Studiums habe ich mal eine Schatulle für Fotos aus rotem Leinen selber gebaut unter Anleitung, das war eine wahnsinnig befriedigende Beschäftigung. Ich wünsche Anett noch viele besondere Aufträge und werde bestimmt mal vorbeischauen, wennich in HH bin und Gelegenheit habe.
    Eine tolle Reihe!

  9. Toll! Den Artikel muss ich an meinen lieben Papa weiterleiten, der den Glauben an seinen Lehrberuf und sein damit verbundendes Talent, wertige Produkte handwerklich herzustellen, vermutlich schon lange aufgegeben hat…

    Schönes Interview! Danke!

    Gruß

    Sven

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