Natascha Geier, Fernsehautorin

Wir sind hier in der Buchhandlung stories! beim Dreh des NDR-Bücherjournals. Das Bücherjournal ist die älteste Büchersendung im deutschen Fernsehen. Allerdings weiß das heute kaum noch jemand. Früher lief die Sendung im Ersten, ging eine Stunde und wurde jeden Monat gesendet. Es wurde dann immer weiter eingeschränkt, und jetzt senden wir nur noch sechsmal im Jahr, Dienstags um Mitternacht. Aber tatsächlich ist die Quote nicht schlecht, es gibt wohl doch genug Literatur-Aficionados, die die späte Stunde nicht schreckt. Wir sind relativ aktuell, so aktuell es eben geht. Morgen setze ich die Sendung zusammen, übermorgen senden wir. Wenn noch irgendwas dazwischenkommt, wenn der Gast ausfällt oder so, dann haben wir immer ein Ersatzstück. Aber falls, was weiß ich, falls jetzt Montag Abend ein großer Schriftsteller stürbe, dann könnten wir nur mit einigen Verrenkungen darauf reagieren und müssten uns was einfallen lassen.

Regiepult

Das hier ist mein Regiepult, da sehe ich beide Kameras, denn Julia Westlake spricht ja in beide abwechselnd. Da kann ich schon sehen, ob die Übergaben stimmen, die Bildgrößen und so weiter … da sieht man dann auch, dass etwa der Hintergrund nicht gut aussieht, und baut gegebenenfalls noch schnell um. Ich hatte die Location hier entdeckt für die Neuformatierung des Bücherjournals, und habe mit einem Kameramann die ganze Optik erarbeitet, mit den unterschiedlichen Perspektiven und allem. Es ist einfach schön hier, finde ich. Durch die verschiedenen Situationen wie Tresen oder Lesesaal können wir optisch sehr abwechslungsreich sein. Aber damit das Bild stimmt, achte ich beim Dreh auch auf Kleinigkeiten, wie zum Beispiel die Bücher, die in den Regalen stehen. Die muss ich häufig umsortieren – und nach dem Dreh wieder zurück – weil sie noch eingeschweißt sind und die Cover dann zu stark reflektieren. Oder weil da Titel stehen, die nicht in unsere Sendung passen.
Das Bücherjournal ist mein kleines Baby, da mache ich seit über zehn Jahren Regie. Genauso wie bei den Fernsehbeiträgen, die ich mache. Als Autorin bin ich aber nicht nur Regisseurin, sondern auch noch meine eigene Aufnahmeleiterin, Texterin und Sekretärin. Ich realisiere Beiträge für das NDR Kulturjournal und ttt. Das heißt, ich recherchiere ein Thema, führe die Interviews, transkribiere sie, überlege mir eine Bildstrecke. Gerade bei Büchern, die noch nicht erschienen sind, hat man nichts, worauf man zurückgreifen kann, um es zu visualisieren. Da muss man sich etwas überlegen. Ich suche die Musik aus, die ich drunterlege, schreibe das Konzept, gehe damit in den Schnitt und sage dem Cutter, so und so hätte ich das gerne. Und er oder sie hilft mir dann, das technisch umzusetzen, was ich mir am Schreibtisch ausgedacht habe. Meist schreibe ich parallel den Kommentartext, gehe damit in die Sprachaufnahme und so weiter.

Natascha Geier

Ich bin durch Zufall beim Fernsehen gelandet. Ich habe Philosophie, Theologie und Amerikanistik studiert und habe eigentlich überhaupt nicht daran gedacht, zum Fernsehen zu gehen. Als Kind habe ich gar nicht fernsehen dürfen, ich hatte da irgendwie gar keinen großen Bezug. Nach dem Studium habe ich mich mit Dokumentarfilm beschäftigt, da gibt es einen kleinen Hamburger Verein von Dokumentarfilmern, der von Klaus Wildenhahn und Gisela Tuchtenhagen gegründet wurde. Da war ich Mitglied. Klaus Wildenhahn hat mich damals beim NDR empfohlen, und so habe ich da als Autorin angefangen, ohne dass ich ein Volontariat gemacht hätte. Der normale Weg geht natürlich so, dass man ein Studium macht, meistens ein geisteswisssenschaftliches, und dann macht man ein Volontariat beim Sender und gelangt in eine Redaktion.
Ich habe dann alles by doing gelernt. Glücklicherweise habe ich schon während meines Studiums viel in Filmproduktionen gearbeitet, als Aufnahmeleiterin und Regieassistentin, da kannte ich das sozusagen schon. Und ich habe mich auch im Studium schon mit Filmtheorie beschäftigt. Aber ein geisteswissenschaftliches Studium ist zur inhaltlichen Durchdringung und zum schnellen Erfassen von Texten wirklich sinnvoll.

Bücher

Die meisten Beiträge, die wir im Bücherjournal senden, sind Übernahmen – also Stücke, die bei uns selbst, im Kulturjournal oder in ttt oder den anderen ARD-Sendern schon gelaufen sind. Etwa drei Wochen vor der Sendung beginnen wir in der Redaktion mit der Planung und schauen, was so gelaufen ist, was für uns interessant ist, welche Bücher und welche Beiträge wir gut finden.
Regie heißt in diesem Fall, dass ich die ganzen Leute koordiniere, dass ich auf die Uhr gucke, dass ich gucke, dass Julia gut aussieht, dass die Moderation fehlerfrei und mit allen Informationen aufgezeichnet wird, dass das Bild gut ist, dass der Ton gut ist. Da muss ich mich natürlich auch auf die Kollegen verlassen, aber letztendlich nicke ich das alles ab. Ich bestimme auch die Einstellungen: Wir machen diese Moderation an dieser Stelle, und die nächste machen wir dort, das überlege ich mir alles vorher, sobald ich die Texte von Julia habe. Da muss ja auch ein guter Rhythmus drin sein, dass man mal vorne im Hellen ist, und dann wieder hierher kommt, dann zum Interview da rüber, dass das alles optisch so ein bisschen ineinander übergeht.

Natascha Geier

Wir drehen hier in der Buchhandlung also nur die Moderationen, und dann kommt die sogenannte MAZ, die vorproduzierten Beiträge. Danach wird abmoderiert, und dann kommt der nächste Beitrag.
Am nächsten Tag gehe ich dann mit dem Material in den Schnitt, da muss es zusammengefügt werden. Und da wir zwei Kameras haben, ist das auch ganz entscheidend. Das ist das, was ich mir am Regiepult angucke: Die Übergänge, wenn Julia einen Blickwechsel macht, den wir vorher besprochen haben, wann der genau stattfindet, wo sie dann hinguckt, und ob das mit den Einstellungsgrößen stimmt. Ich kann unmöglich eine Nahe auf eine Nahe schneiden oder eine Totale auf eine Totale. Ich schneide gern in der Bewegung, da muss das Bild stimmen, das kann ich nachher nicht kaschieren, wenn es falsch aufgezeichnet wurde.
Den Schnitt mache ich dann mit einem Cutter. Mit dem sitze ich da und sage, diese Moderation ist die richtige, die fehlerfreie. Deswegen schreibe ich mir auch die Zeiten immer auf, damit man es im Schnitt schneller findet. Dann schneidet man die Moderation, setzt die Beiträge dazwischen, dann überlegt man, ob man vielleicht mal Musik vor- oder nachlappen lässt, solche Sachen. Und dann ist die Sendung fertig, eine Dreiviertelstunde, und wird dann ausgestrahlt.

Kamera

Das ist schon sehr vielseitig, aber das Autorensein ist eigentlich noch vielseitiger. Denn da muss ich mir innerhalb kürzester Zeit ein neues Thema komplett erarbeiten, parallel dazu überlegen, wie visualisiere ich das. Wir reden jetzt nicht über einen Kinofilm, der schon da ist und wo das relativ einfach ist, sondern über sowas wie neulich Per Leo zum Beispiel. Da gibt es überhaupt keine Bilder. Man macht dann erstmal eine Archivsuche, überlegt sich aber auch selbst, was man machen kann. Manchmal muss man auch noch eine Drehgenehmigung haben. Ich bin dann meistens meine eigene Aufnahmeleiterin, das macht man quasi nebenher. Dann kommt der eigentliche Drehtag, da muss man natürlich nicht nur das Interview machen, sondern auch die sogenannten Antextbilder. Zum Beispiel: der Autor geht über die Straße, oder er zeigt sein Recherchematerial oder tut irgendwas. Per Leo zum Beispiel hatte die ganzen Bücher seines Großvaters, die konnte man prima abfilmen. Und ich habe auch mit Archivmaterial gearbeitet und mit selbstgedrehtem Material von dem Haus in Bremen Vegesack. Und dann überlegst du hinterher erstmal, okay, was ist die Geschichte, die ich – reduziert auf fünf Minuten – erzählen kann? Der O-Ton sollte sich nicht mit dem Erzählten doppeln, sondern es weiterführen. Da muss man dann überlegen, wie baue ich das Konzept so, dass da eine Dramaturgie drin ist? Welche O-Töne nehme ich, welche fallen raus? Was nehme ich für Musik, die dazwischen passt … ungern Klaviermusik, melancholisch, das ist gähn.

Scheinwerfer
Per Leo redet wahnsinnig schnell und wahnsinnig toll, und es war eins seiner ersten Fernsehinterviews, er hat wahnsinnig viel erzählt – was super war, aber ich hatte beim Transkribieren echt Arbeit. Ich muss das ja alles transkribieren, weil ich daraus den Beitrag zusammensetze. Da wähle ich die Sequenzen aus, die O-Töne, die in das Stück reinkommen, und muss sehen, wie der Satz genau ist. Anders kann man nicht arbeiten.
Dann schreibe ich das Konzept, rede noch mal mit dem Redakteur darüber, und dann gehe ich in den Schnitt. Manchmal ist es sehr aufwändig, wenn man noch Bildübergänge oder Effekte haben will, manchmal gibt es auch technische Probleme, die Computer stürzen ab und so weiter.

Bücher

Was mir wahnsinnig Spaß macht, ist, dass ich geistig so schön flexibel sein darf und mich immer wieder in neue Themen einarbeiten kann. Man liest sich innerhalb kürzester Zeit in ein Thema ein, man steigt da richtig ein, recherchiert und kriegt auf einmal noch ganz viele Zusatzinfos. Dass ich dafür sogar bezahlt werde und meistens auch noch mit unheimlich netten Leuten zusammenarbeite, empfinde ich als ganz großes Geschenk. So einen flexiblen Job zu haben, der immer wieder unterschiedlich verläuft. Natürlich gibt es auch mal nervige Drehs und nervige Tage, das ist klar. Das ist normal. Aber meistens ist es total spannend. Ich habe sehr freie Hand und kann mir selbst überlegen, was ich machen möchte.

Ich bin gerade ganz glücklich, weil ich ein wunderbares Jugendbuch machen werde, da freue ich mich schon wie verrückt. Fürs Kulturjournal. Lara Schützsack, eine Debütantin, hat einen wunderbaren Roman geschrieben über ein magersüchtiges Mädchen, aus der Perspektive der jüngeren Schwester. Das ist toll, dass sie in der Redaktion immer mal wieder sagen, wir machen auch sowas. Es gibt so viele Themen, so viele Bücher, aber wir machen auch mal etwas Ungewöhnlicheres, Unerwartetes.

Neulich habe ich mit Corinne Wasmuht in Kiel gedreht, der Malerin. Oder mal mit Ilja Kabakow. Das genieße ich auch immer so richtig, wenn du vor der Ausstellungseröffnung mit den Künstlern persönlich durch eine Ausstellung gehst und natürlich auf eine ganze andere Art und Weise die Bilder angucken kannst. Dann ist niemand da, du darfst ganz nah rantreten, und die Künstler erzählen dir, was sie da vorhatten, das ist so toll! Das ist wirklich wunderbar, man hat einen ganz anderen Blick darauf und versteht natürlich auch viel mehr. Und das fließt dann wieder in meinen Text ein, das versuche ich immer zu vermitteln.

Bücher

Das Bücherjournal wird sechs Mal im Jahr gesendet, wir drehen immer hier. Dann haben wir jeweils einen ganzen Sonntag die Buchhandlung für uns. Wir fangen um acht Uhr an – also, ich komme um acht dazu, aber die Kollegen sind schon ab sieben im NDR und packen die ganzen Sachen ein. Ich backe immer einen Kuchen für alle. Meistens drehen wir bis vier oder so, oder auch schon mal bis fünf, wenn der Gesprächsgast zum Beispiel nicht rechtzeitig hier sein konnte. Roger Willemsen hing mal in Köln fest, der Flug war gestrichen worden, da mussten wir halt warten, bis er ankam.

An einem Beitrag von fünf oder fünfeinhalb Minuten arbeite ich als Autorin normalerweise, wenn alles gut läuft und gut ineinandergreift, eine Woche. Es gibt natürlich Themen, die gehen schneller, Kinofilme und so weiter, aber sonst braucht man im Prinzip fünf Arbeitstage. Solange der Beitrag keine unerwarteten Widrigkeiten bereithält. Du hast einen Drehtag, mindestens einen Recherchetag, einen Schnitttag. Das sind schon drei Tage. Dann muss man auch das ganze Gesehene und Gedrehte transkribieren, bearbeiten, ein Konzept machen, einen Text schreiben, Musik aussuchen, da bist du schon bei fünf Tagen. Wenn du noch eine aufwändigere Recherche hast, brauchst du noch ein, zwei Tage mehr. Eventuell hast du Interviewpartner, die nicht in deiner direkten Nähe sind, oder mehr als einen Interviewpartner, dann brauchst du noch einen zweiten Drehtag. Es ist immer relativ aufwändig, das macht man sich gar nicht so klar, dass man mindestens fünf Tage an so einem Stück sitzt.

Hand

Du musst dir kreativ immer etwas überlegen. Das wird gar nicht so wahrgenommen, dass man als Fernsehjournalistin – und gerade in der Kultur – wirklich kreativ arbeitet. Aber man muss sich ja Gedanken machen über die Umsetzung. Die Leute bieten einem ja nicht nur irgendwas dar, und dann wird das von allein so. Man muss es auch strukturieren und gestalten.

Mikro

Das Tolle an dieser Arbeit ist, man lernt tolle Leute kennen, man kann mit interessanten Menschen interessante Gespräche führen. Und man arbeitet in Teams, das finde ich auch schön, dass man nicht nur in der Abgeschiedenheit des Schreibtischs sitzt. Mein Magistervater hatte mir damals vorgeschlagen zu promovieren, aber da habe ich gedacht: das möchte ich gar nicht, ich möchte keine akademische Laufbahn einschlagen, und ich möchte nicht schon wieder zwei Jahre am Schreibtisch sitzen und nachher diese Arbeit dann fünf Nasen präsentieren, und dann soll das immer so weitergehen. Das Tolle hier ist die Arbeit im Team; und dass man lernen kann und dafür bezahlt wird, und sich auch teilweise Sachen erarbeitet, für die man sich vorher gar nicht interessiert hat. Wo man dann merkt, wie spannend es ist, wenn man sich erstmal reinarbeitet. Und dass man gleichzeitig visuell arbeitet, und dann auch mal mit Musik, man hat wirklich von allem etwas dabei.

Natascha Geier

»Was mir wahnsinnig Spaß macht, ist, dass ich geistig so schön flexibel sein darf und mich immer wieder in neue Themen einarbeiten kann. Dass ich dafür sogar bezahlt werde und meistens auch noch mit unheimlich netten Leuten zusammenarbeite, ist ein ganz großes Geschenk.«

Das Bücherjournal ist jetzt in der Mediathek zu sehen.

6 Kommentare

  1. Spannend! Schön das mal so erklärt zu kriegen, wie so einen Sendung entsteht! Macht gleich Lust das Bücherjournal zu gucken – und vielleicht mit anderem Blick ;-)

  2. Sehr gern gelesen.

  3. Wow, unglaublich, was für 5 Minuten Sendung für ein Aufwand dahintersteckt. Das macht man sich als »Nur« Konsument überhaupt nicht klar. Umso schöner, daß es Menschen gibt, die mit so viel Herzblut und Engagement spannende Dinge aufarbeiten und zur Präsentation bringen. Liebe Natascha: Ich wünsche Dir weiterhin so viel Freude und Kreativität.

  4. Frau Erhardt-Albrecht war schneller, genau das wollte ich gerade schreiben. Sehr interessante Geschichte :-)

  5. Schön mal zu lesen, wie das die Profis so machen. Für mich als Hobby Reisefilmerin war das sehr interessant.

  6. Natascha, Du beschreibst das alles mehr als zutreffend und mit einer großen Portion Ehrlichkeit. Das kann ich gut beurteilen, als »alter Kollege«, der in 90ern auch regelmäßig für´s Bücherjournal viele Stücke realisiert hat. Kompliment und Respekt für Deine Power und positive (Arbeits-) Einstellung, nach so vielen Jahren in der »Anstalt« ;-)

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