Regula Venske, Generalsekretärin des PEN Deutschland

Ich heiße Regula Venske und bin freie Schriftstellerin, von Haus aus auch noch Literaturwissenschaftlerin. Ich schreibe an einem Roman, zu dem ich aber im Moment nicht so komme, wie ich möchte, denn ich arbeite außerdem seit 2013 ehrenamtlich als Generalsekretärin für das PEN-Zentrum Deutschland. Außerdem bin ich Mitglied im Board von PEN International, und mit beidem ist natürlich einiges an Engagement und Arbeit verbunden, zumal es derzeit an allen Ecken und Enden der Welt brennt. Deswegen kam ich auch gerade etwas zu spät, weil die taz noch eine Stellungnahme wollte. Morgens, wenn ich aufwache, denke ich immer: Heute schreibe ich an meinem Roman weiter! Und dann geht der Vormittag schon wieder mit anderen Dingen dahin. Morgen zum Beispiel muss ich einen Rundbrief mit ganz vielen Punkten an unsere Mitglieder schreiben.


Generalsekretärin heißt, dass man im Prinzip für fast alles zuständig ist. In unserer Geschäftsstelle in Darmstadt arbeiten Angestellte, deren Arbeitgeber wir als Verein sind, das heißt, ich bin als Generalsekretärin auch dafür zuständig, dass in der Geschäftsstelle alles ordentlich läuft. Das reicht bis dahin, dass ich Urlaub genehmigen muss oder morgens um acht eine SMS bekomme, dass jemand krank ist.


Dafür bekomme ich eine Aufwandsentschädigung von 500,- € im Monat. Allerdings entwickelt es sich manchmal fast zum Fulltimejob, von daher ist das wirklich nur eine Aufwandsentschädigung.

Aber ich will nicht klagen, es macht auch viel Spaß. Es ist sehr erfüllend und befriedigend und auch ermutigend, denn ich fände es furchtbar frustrierend, wenn ich mir abends hilflos und ohnmächtig die Nachrichten ansehen würde und das Gefühl hätte: die Welt wird immer schrecklicher, die Gesellschaft verroht, an allen Ecken und Enden der Welt herrschen Despoten, und die rechten Stimmen, die antisemitischen Stimmen, die ausländerfeindlichen Stimmen, die undemokratischen Stimmen werden immer lauter, trauen sich wieder viel frecher hervor, als es über lange Jahre der Fall war, sodass man vielleicht schon dachte, es gäbe diese Stimmen in unserem Lande nicht mehr. Das würde mich sehr deprimieren. Aber wir können etwas tun, und wir erreichen auch einiges.

Der PEN International wurde 1921 in London gegründet, nach dem ersten Weltkrieg, bei dem ja leider oft auch die Intellektuellen der beteiligten Länder in die Kriegshetze mit eingestimmt haben. Der internationale PEN setzt sich für die Freiheit des Wortes ein, für Frieden und Völkerverständigung, und ganz konkret für verfolgte und bedrohte Schriftsteller weltweit. Das sind Schriftsteller, die vor Gericht stehen, Schriftsteller, die verurteilt wurden für Dinge, die sie geschrieben haben, also weil sie ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung praktiziert haben. Oder noch schlimmer. Über Mexiko zum Beispiel sagt die internationale PEN-Präsidentin Jennifer Clement, die aus Mexiko kommt: »We don’t have writers in prisons, we have writers in graves.« Also Autoren, die unmittelbar an Leib und Leben bedroht sind, weil sie vielleicht noch nicht mal vor Gericht kommen, sondern bei denen mafiöse Strukturen dafür sorgen, dass sie gleich mundtot gemacht, also ermordet werden.
Wir setzen uns für diese Kollegen ein. Wir versuchen, Autoren aus den Gefängnissen herauszuholen oder zumindest ihre Haftbedingungen zu verbessern. Wir schreiben Briefe an die Autoren in den Gefängnissen, an die Gefängnisleitungen, die zuständigen Politiker, Justizminister, Premierminister der betreffenden Länder, an die Botschafter hier in Deutschland. Oft gehören auch öffentlichkeitswirksame Aktionen dazu, teilweise schreiben wir Offene Briefe. Ich habe schon einen Offenen Brief an Barack Obama unterzeichnet, einen an Wladimir Putin. In manche Länder werde ich vielleicht irgendwann nicht mehr einreisen können.


Von den betroffenen Autoren wird uns immer wieder rückgemeldet, wie wichtig es für sie ist, zu wissen, dass sie nicht vergessen sind. Es kann zum Teil die Haftbedingungen verbessern, weil sich die Gefängnisleitung manches nicht traut, wenn sie wissen, da schaut jemand ganz genau hin. Manchmal ist der Druck der Öffentlichkeit auch so hoch, dass sogar Freilassungen erfolgen. Manchmal dann auch Abschiebungen, weil man diesen unbequemen Menschen loswerden will. Wir haben in Deutschland ein Programm, Writers-in-Exile, in dem wir acht Autoren für ein bis drei Jahre Zuflucht gewähren können, finanziert von der Kulturstaatsministerin. Im Moment ist zum Beispiel Enoh Meyomesse da, er hat lange in Kamerun im Gefängnis gesessen, davon 18 Monate in Dunkelhaft. Dessen Bedingungen haben sich spürbar verbessert, als deutlich wurde, der PEN ist da und guckt hin. Der deutsche PEN war da sehr stark beteiligt. Am Ende konnten wir ihm in langwierigen, schwierigen Aktionen sogar einen Laptop ins Gefängnis schicken, und er machte den Witz, er sei jetzt ein VIP – ein Very Important Prisoner. Irgendwann ist er aus Kamerun rausgekommen, sie wollten ihn loswerden, er war ihnen einfach zu unbequem. Jetzt ist er mit einem Stipendium in Darmstadt, dem Elsbeth-Wolffheim-Stipendium. Das geht bis zu drei Jahre. Manche Autoren bleiben auch länger hier, wenn es nicht anders geht. Manche gehen in ihre Länder zurück, zum Beispiel Ana Lilia Pérez, die hier in Hamburg war. Sie war vorher schon ein Jahr mit der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte hier, danach haben wir sie in unser Programm genommen, und dann ist sie nach Mexiko zurückgekehrt, weil sie das Gefühl hatte, dort recherchieren und ihre journalistische Arbeit über die Drogenkartelle fortsetzen zu müssen. Sie hat es gewagt, weil einer der Drogenbosse, der sie sozusagen auf seiner Liste hatte, inzwischen untergetaucht und außer Landes war. Bislang ist es gutgegangen, aber sie hat selbst auf einer Podiumsveranstaltung gesagt, „ich bin eine Noch-Lebende“. Ich bewundere den Mut dieser Kolleginnen und Kollegen. Wenn man diesen Menschen ein Stück weit helfen und sie unterstützen kann, ist das natürlich gut, aber manches erfüllt einen auch mit Sorge oder mit Trauer. Das ist ja klar.


Wenn Autoren nach den drei Jahren hier bleiben und zum Beispiel Asyl beantragen wollen, dann helfen wir ihnen natürlich.

Der internationale PEN prüft alle Fälle und erstellt eine case list. Diese Liste unterscheidet sich etwas von der Liste bei Reporter ohne Grenzen, weil dort auch Kameraleute und Fotografen und andere Medienmenschen dabei sind, während der PEN sich ganz auf das geschriebene Wort bezieht. Es hat allerdings eine Änderung und Öffnung gegeben, inzwischen gehören auch Journalisten und zunehmend Blogger dazu. In Ländern wie Bangladesch sind Fälle von Bloggern bekannt, die aufklärerische oder atheistische Inhalte veröffentlichen und dann von islamistisch orientierten Gewalttätern auf offener Straße mit Macheten zu Tode gebracht werden. Wir haben zur Zeit auch einen Blogger aus Bangladesch mit seiner Familie in unserem Programm in Berlin.

Auf unserer case list stehen im Moment über 800 Autoren. Die Türkei ist das Land Nummer eins, die Türkei ist das größte Gefängnis für Autoren weltweit, noch vor China, Eritrea und Ägypten. Das war auch schon vor dem gescheiterten Putschversuch so, aber es hat sich natürlich seitdem massiv verstärkt. Ich gehe aber davon aus, dass die Zahlen, die wir kennen, immer nur die Spitze des Eisbergs sind. Es gibt sicher viele Schicksale, von denen wir nichts wissen. Vor zwei, drei Jahren war ich mit einer internationalen Delegation in Mexiko, »Der PEN fragt«, da ging es um die heilige Dreieinigkeit von Drogenhandel, Korruption in der Politik und Straflosigkeit – die Mörder von Journalisten kommen straflos davon, weil Polizei und Justiz mit den Drogenkartellen kollaborieren. Da wurde sehr deutlich, dass es in den Provinzen oft ganz unbekannte Journalisten gibt, die nicht das haben, was wir hier an journalistischer Ausbildung kennen, und sie haben auch keine Gewerkschaft, keinen Verband, das sind lauter Einzelkämpfer, völlig ohne Schutz. Wenn die ermordet werden, kriegt das niemand mit. Das ist einer der Gründe, warum wir nicht mehr zwischen Autoren und Journalisten trennen, denn das ist genau das, was den Regierungen in solchen Ländern zuarbeitet, weil sie dann sagen: ihr seid doch bekannte Autoren, was kümmert ihr euch denn um diesen kleinen, unbekannten Journalisten. Es geht uns aber um die schreibende Familie, um das Wort im Sinne der Aufklärung. Das kann man nicht trennen. Die Gesamtzahl an Fällen wird also deutlich höher sein. Die Fälle auf der case list sind die, die wirklich geprüft sind, die teilweise auch vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen anerkannt sind.

Zur Zeit haben wir zwei Syrer in München im Writers-in-Exile-Programm. Einer ist aus Syrien nach Ägypten geflohen und hat sich dort eine ganze Weile illegal und völlig ohne Geld durchgeschlagen, dem haben wir ab und zu mal aus Spenden 300,- € geschickt. Das ist für Deutschland nicht viel, davon konnte er aber drei, vier Monate leben und hat noch seine Mutter in Syrien unterstützt. Er war aufgrund der schwierigen Bedingungen stark suizidgefährdet, und einen solchen Kollegen nach zweieinhalb Jahren Überlebenskampf rausholen zu können – natürlich mit Unterstützung des Goetheinstituts vor Ort und des Auswärtigen Amts – das ist ein schöner Erfolg. Der andere Syrer war in der Türkei, ebenfalls aus Syrien geflohen. Er hatte schon dreimal im Flugzeug gesessen, wir hatten alles beisammen, und dann hat die türkische Regierung jeweils neue Erlasse veröffentlicht, die zum Teil noch gar nicht bekannt waren, sodass dann wieder irgendein Stempel fehlte, und sie haben ihn nicht ausreisen lassen. Das war natürlich ein Nervenkrieg sondergleichen. Zu wissen, er saß schon im Flugzeug und muss da wieder raus und darf nicht ausreisen. Als er dann am Tag vor Weihnachten in München eintraf, sind natürlich Freudentränen geflossen, das war wie ein Weihnachtsgeschenk, dass er endlich hier war. Yamen Hussein, ein toller junger Autor. Da steckt viel Arbeit dahinter, ganz viel auch hinter den Kulissen.

Wir finanzieren unsere Arbeit aus verschiedenen Quellen. Wir sind ein gemeinnütziger Verein, es gibt natürlich Mitgliedsbeiträge, allerdings sind Autoren im Allgemeinen nicht gerade Großverdiener. Wir haben eine Reihe von Mitgliedern, oft mit ganz bekannten, renommierten Namen, die – zumal, wenn sie älter werden – unter sehr bescheidenen Bedingungen leben, und die sich teilweise nicht mal den vollen Mitgliedsbeitrag von 160,- € im Jahr leisten können. Manche wollen aus dem PEN austreten, weil sie es nicht mehr bezahlen können, dann versuchen wir, Lösungen zu finden, um die Kollegen zu halten. Mit den Beiträgen könnten wir unsere Arbeit aber nicht finanzieren, wir sind daher dringend auf Spenden angewiesen. Es gibt einen Freundeskreis, in dem kann jeder Mitglied werden, der Beitrag ist etwas geringer. Da sind Einzelmitglieder drin, aber auch Institutionen, Verlage, Städte und so weiter. Einmalige Spenden sind ebenfalls herzlich willkommen, darüber sind wir natürlich sehr glücklich. Und wir können auch wirklich etwas bewirken, wie vorhin schon erzählt, 300,- € haben einen Syrer ein paar Monate über Wasser gehalten.

Das Writers-in-Exile-Programm wurde unter dem ersten Kulturstaatsminister Michael Naumann ins Leben gerufen und wird, mit Ausnahme des Stipendiums in Darmstadt, weiterhin von der Kulturstaatsministerin, also dem BKM, finanziert. Reisen zu internationalen Kongressen und einzelnen internationalen Treffen finanziert teilweise das Auswärtige Amt, und teilweise machen wir das selbst.

Wir tauschen uns auch mit Organisationen wie Amnesty International aus. Nicht institutionalisiert, wohl aber durch persönliche Kontakte. In Darmstadt zum Beispiel sitzt Amnesty im selben Haus wie die Geschäftsstelle des PEN, nämlich im Darmstädter Literaturhaus, und da gibt es natürlich auch mal gemeinsame Veranstaltungen. Unser Writers-in-Prison-Beauftragter Sascha Feuchert hat natürlich viel mit Reporter ohne Grenzen zu tun. Da verweisen wir auch aufeinander und ziehen an einem Strang. Natürlich hat Amnesty den ungleich größeren Apparat, die sind viel größer als wir und anders aufgestellt, deshalb können sie auch mehr machen. Aber ich denke, die Arbeit ergänzt sich.

Manchmal besuchen wir Autoren auch. Wir waren zum Beispiel mit einer Delegation in der Türkei und wollten Aslı Erdoğan im Gefängnis besuchen, aber das ging nicht. Stattdessen haben wir vor dem Gefängnis demonstriert. Ob das für uns gefährlich ist, weiß man nie. Ich bin dann vor allem dankbar für meinen deutschen Pass und die Unterstützung, die wir von unseren Politikern bekommen, das muss man auch mal sagen. Wir leben in einem Land – bei aller Kritik, die man als Staatsbürger an allem Möglichen immerzu hat – in dem wir eine wirklich an humanitären Grundsätzen orientierte Unterstützung erfahren. Natürlich gibt es mir ein Gefühl der Sicherheit, wenn im Auswärtigen Amt und im Konsulat in Istanbul bekannt ist, dass ich an dieser Delegation teilnehme. Für mich persönlich hatte ich keine übertriebene Angst. Gut, die Warnung vor Terroranschlägen gilt natürlich für Istanbul, aber mir kann auch hier ein Ziegelstein auf den Kopf fallen, da bin ich erstmal ein bisschen fatalistisch und habe es verdrängt.
Bei dieser Reise im Herbst haben wir unter anderem auch eine Prozesseröffnung gegen fünf Journalisten beobachtet, die schon vor dem Putschversuch angeklagt waren. Dazu gehört Ahmet Altan, ein ganz bekannter Journalist und Autor, der die inzwischen verbotene Zeitung Taraf mitgegründet hat. Bei der Prozesseröffnung waren auch viele Vertreter der internationalen Konsulate da, da fühlt man sich dann natürlich als Deutsche schon etwas besser dran, als wenn man einen anderen Pass hätte. Es hat aber auch schon Fälle gegeben, wo internationale Journalisten festgenommen wurden. Schwieriger ist es für Kollegen, die die doppelte Staatsbürgerschaft und auch einen türkischen Pass haben. Im Moment sind wir natürlich empört und in Sorge über die Situation von Deniz Yücel, für dessen Freilassung wir uns zusammen mit vielen anderen einsetzen. Im vergangenen Herbst habe ich auf der Frankfurter Buchmesse eine Veranstaltung zum Thema Meinungsfreiheit in der Türkei moderiert, an der er teilnahm, gemeinsam mit dem türkischen Journalisten Can Dündar und PEN-Präsident Josef Haslinger. Seit damals hab ich mir schon Sorgen um ihn gemacht, da er ja gerade aus Istanbul eingeflogen war.

Wir müssen natürlich auch unsere eigene Gesetzgebung noch mal unter die Lupe nehmen. Böhmermann war ein Fall, über den wir in Deutschland vielleicht denken: Naja, er ist ja nicht wirklich gefährdet, musste das denn sein? Ich weiß von Kollegen, die sagen, es ist ein schlechtes Gedicht, dafür will ich mich nicht einsetzen. Andere finden es gut. Darüber wurde dann auf unsere deutsche Art und Weise diskutiert! Aber grundsätzlich ist das ja gar nicht die Frage, „Freedom of expression is not about taste“, sagte eine englische Kollegin. Sondern es geht doch darum, dass wir noch einen Paragrafen haben, der aus dem 19. Jahrhundert stammt und nicht mehr in unsere heutige Demokratie passt. Den hatte nur niemand mehr im Visier. Im PEN haben wir das schon, wir hatten letztes Jahr eine Podiumsdiskussion auf unserer Jahrestagung, die ich auch organisiert habe, zum Paragrafen 166, dem sogenannten Blasphemieparagrafen. Da hatten wir den Bundesrichter Thomas Fischer, der sich ja sehr scharf gegen diesen Paragrafen ausgesprochen hat, den Theologen Horst Herrmann – seinerzeit übrigens der jüngste katholische Theologieprofessor in Münster, und dann auch der erste, dem der Vatikan die Lehrerlaubnis entzog, noch vor Drewermann und Uta Ranke-Heinemann und wie sie alle hießen, aufgrund kirchenkritischer Äußerungen –, dann Sigrid Löffler als Literaturkritikerin und den Philosophen Christoph Türcke. Es gibt auch in westlichen Demokratien sogenannte Defamation Laws, das sind Gesetze zum Themenbereich Beleidigung, üble Nachrede, Verleumdung. Die gelten international im PEN als Gesetze, die in Diktaturen missliebige Journalisten hinter Gitter bringen, weil man dort, wenn man kritisch über das Staatsoberhaupt schreibt, der Verleumdung bezichtigt wird.

Der Präsident des PEN Ghana hat uns in Amsterdam einen interessanten Vortrag gehalten, dass man in Ghana die Defamation Laws abgeschafft hat, und als Beispielländer, in denen es diese Gesetze als schlafende Hunde noch gibt, wurden Island, Deutschland und andere westeuropäische Länder genannt. Im internationalen PEN ist die Haltung, diese Straftatbestände gehörten abgeschafft, so etwas sollte rein der privaten Klage auf Schadensersatz überlassen sein. Das sind alles spannende Fragen. Denn wenn man sich das ganze Thema der Hate Speech, verstärkt im Internet, anguckt, dann merkt man, dass man selbst in manchen Punkten doch konservativer denkt und sich fragt, ob wir denn wirklich all das abschaffen und allem Tür und Tor öffnen wollen, sodass jede Verleumdung möglich ist? Volksverhetzung ist auch so ein Thema. Wir unterstützen es nicht, wenn freie Meinungsäußerung zu Gewalt aufruft und den Idealen von Frieden und Völkerverständigung widerspricht, da gibt es klare Grundsätze in der Charta des PEN, die jeder bei Aufnahme unterschreibt. Trotzdem haben einzelne PEN-Zentren so jemanden wie David Irving im Recht auf freie Meinungsäußerung unterstützt, wozu dann eben auch solche Abstrusitäten und gefährliche Thesen – meiner Meinung nach – wie die „Auschwitzlüge“ gehören. Dazu haben wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte natürlich ein anderes Verhältnis, ich eingeschlossen, aber dann sagte der norwegische Kollege zu mir: Ja, aber du wirst schon verstehen, dass wir nicht international Rücksicht nehmen können auf eure deutsche Geschichte und eure deutschen Befindlichkeiten, das sind nicht unsere Probleme. Da muss ich ihm zugestehen, dass ich seine Meinung aus seiner Sicht natürlich verstehe. Ich glaube, dass man manche dieser Fragen nicht ganz endgültig befriedigend wird lösen können. Aber es geht uns schon prinzipiell um die freie Meinungsäußerung als hohes Gut, ohne das es keine Demokratie gibt. Es darf ja auch jeder sagen, das passiert etwa in den USA bei den fundamentalistischen Christen, Gott hat die Welt in sieben Tagen erschaffen. Oder: die Erde ist keine Kugel. Da würde man nicht sagen, dass jemand dafür ins Gefängnis gehört, sondern man denkt halt, das ist ein Spinner. Das sind wirklich schwierige Themen, über die es sich zu diskutieren lohnt.


Das hohe Gut der freien Meinungsäußerung im PEN ist klar, hängt aber immer auch zusammen mit der Selbstverpflichtung und Verantwortung des Einzelnen im Schreiben. Wir sagen also: man kann alles schreiben, aber man ist auch verantwortlich für das, was man schreibt. Es gilt eine Selbstverpflichtung von Autoren und Journalisten, verantwortlich mit dem Wort umzugehen.

Ich mache diese Arbeit jetzt seit vier Jahren. Man wird immer für zwei Jahre gewählt. Leider hören jetzt einige aus dem Präsidium auf, und wir halten es für sinnvoll, dass es eine Kontinuität gibt. Wir selbst haben auch gelernt von denen, die schon länger dabei waren, denn in manche Abläufe muss man sich erstmal einarbeiten. Ich werde also noch mal kandidieren. Dadurch, dass ich auch im internationalen Präsidium bin, geht das internationale Engagement für mich ohnehin weiter, und es wäre ungünstig, da jetzt abzubrechen. Im Moment hätte ich noch das Gefühl, dass ich noch nicht alles so richtig bestellt hinterlasse, weil manche Prozesse noch andauern. Aber wenn dann irgendwann jemand anders das Amt übernimmt, werde ich mich auch freuen.

Das Schönste an der Arbeit ist … man ist ja als schreibender Mensch ein Einzelkämpfer. Ich merke aber, dass mir die Teamarbeit wirklich Spaß macht. Mir macht es Spaß, mit anderen gemeinsam Dinge auf die Beine zu stellen. Manchmal gehören auch Differenzen dazu, aber da bin ich, glaube ich, relativ abgehärtet, weil ich zwei Kinder großgezogen habe und mich so schnell nichts mehr erschüttern kann. Ich denke manchmal, man hat bei dieser Arbeit wenig Geld, aber man hat viel Welt. Und die Welt ist das, was ich spannend finde. Es ist schön, wenn man das Gefühl hat, man kann ein bisschen was bewirken.

»Es ist sehr erfüllend und befriedigend und auch ermutigend.«

Webseite:
PEN Deutschland
PEN International

Und hier ist noch ganz aktuell ein Artikel über Yamen Hussein in der SZ.

9 Kommentare

  1. Danke für den Artikel! Ich hatte schon vom PEN gehört, aber eine richtige Vorstellung, worum es da geht, hatte ich bisher nicht.

  2. Schön, dass die Reihe zurück ist und dann gleich mit einer so spannenden Person in einer spannenden, mir bisher eher unbekannten Organisation.

  3. Mir geht es genauso. Der PEN war mir ein Begriff, nur, das wird mir nach dem Lesen klar nicht ausreichend mit Inhalt gefüllt. Danke für’s Schlauer-Machen.

  4. Juhu, ihr macht weiter! Und dann mit einem so spannenden Wiedereinstieg. Ganz schön toll!

  5. Tolle Frau, toller Verein! Ich bin sehr beeindruckt.
    Weiter so, ich freue mich auf noch mehr spannende Artikel!

  6. Toll, vielen Dank!

  7. Spannend! Vielen Dank.

  8. Vielen Dank! Sehr erhellend. Beeindruckende Frau.
    Asli Erdogan wird heute übrigens 50, hab ich gestern zufällig gesehen. Sie ist nicht mehr in Haft, aber auch noch nicht freigesprochen. Das ist alles sehr bitter.

  9. Super wieder einen neuen Beitrag zu lesen – und wie immer: informativ und unterhaltsam in einem!
    Vielen Dank!

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