Ulf Schönheim, Regionalulf

Brot

Das Brot ist von Pritzschel, dem Biobäcker, ich weiß aber nicht, wo das Mehl herkommt. Das dunkle Brot ist von der Vollkornbäckerei Scharnebeck aus der Nähe von Lüneburg. Die lassen einen Teil ihres Mehls in der Handorfer Windmühle mahlen, das ist also tatsächlich windgemahlenes Mehl. Es kommt direkt aus der Gegend, ist bio und alles. Das wird in einem Dorf gemahlen, drumherum angebaut und im Nachbardorf gebacken.

Von dem Käse ist ziemlich viel von meiner Nachbarin Ulrike von der Landkäserei Fehling. Ein winzig kleiner Betrieb, quasi ein Ein-Frau-Betrieb. Ulrike hat es geschafft, mit Umstellung auf Käserei den Hof, der seit ungefähr 350 Jahren in Familienbesitz ist, in die nächste Generation zu bekommen.

Käse

Viele Bauernhöfe sind ja heutzutage so klein, dass es sich nicht mehr richtig lohnt, angesichts der Marktgegebenheiten. Ulrike hat mit 12 oder 13 Kühen angefangen, mittlerweile hat sie ein paar mehr. Auch durch eigene Nachzucht, sie lässt ihre Bullenkälber jetzt als Weideochsen großwerden. Das Fleisch diffundiert dann bei uns im Dorf, es verlässt das Dorf nicht. Ulrikes Käse war ein Teil der Idee zu den Hamburger Regionalwaren. Weil der Käse sonst nicht mal bis Hamburg kommt, obwohl es so ein toller Käse ist. Ein Käse, der das enthält, was wir eigentlich wollen, nämlich den Geschmack der Region. Ulrikes Käse schmeckt so, wie es bei uns im Dorf riecht. Da sind keine komischen Zutaten drin.

Käse

Die Hamburger Regionalwaren, das bin ich. Ich und ein Internetshop und mein Fahrrad. Ich suche hauptsächlich kleine Produzenten. Die Idee dazu entstand mit Ulrikes Produkten und meiner Familiengeschichte: Schon mein Opa hat immer gerne in kleinen Läden und Manufakturen Käse und Wurst eingekauft, im Frankreichurlaub zum Beispiel, und meine Eltern auch. Ich weiß gar nicht, ob ich das als Kind schon spannend fand. Aber zumindest als Jugendlicher. Als Kind war ich sehr, sehr krüsch, ich habe fast gar nichts gegessen. Aber dann habe ich angefangen zu essen und selbst zu kochen, als ich nach der Schule die Ausbildung angefangen habe und nach Hamburg gekommen bin und mich auf einmal selbst verpflegen musste. Am Anfang habe ich Trial-and-error-Kochen betrieben, da ging auch richtig mal was daneben. Trotzdem macht mir Kochen und machen mir Lebensmittel Riesenspaß.

Ich habe mich dann einen Winter über hingesetzt und geguckt: Kriegt man mit regionalen Produkten ein Sortiment zusammen, um so einen kleinen Internetshop zu eröffnen? In der Datenbank habe ich jetzt ungefähr 150 bis 200 Anbieter. Von denen natürlich nicht alle immer können oder wollen. Aber das ist ja auch das Schöne an regionalen Produkten: Es gibt sie zwischendurch auch mal nicht. Ziegenfrischkäse zum Beispiel gibt es im Winter nicht, weil die Ziegen im Mutterschutz sind. Sie werden trockengestellt, geben keine Milch, und die trächtigen Ziegen sparen ihre Kraft für die Zicklein. Im Frühjahr werden dann einige Zeit die Zicklein gesäugt, und danach geht es erst wieder los mit Ziegenmilch und Ziegenfrischkäse und anderen Käsesorten.

Tüte

Sortiment

Jedenfalls war schnell klar, ja, man kriegt ein kleines Sortiment zusammen. Ein Freund hat mir einen kleinen Webshop hingestellt. Ich vermarkte die Regionalwaren bislang nur im Internet, und bislang ist es auch noch ganz, ganz klein. Ich operiere mit einem einzigen Regal und einem gesonderten Kühlschrank zu Hause. Einen Grundstock an Ware habe ich immer da. Wenn dann mal mehr bestellt wird, kann ich alles relativ schnell besorgen. Es kommt ja nicht von weit her, das ist der große Vorteil. Und dann liefere ich die Waren einmal in der Woche mit dem Fahrrad in Hamburg aus.
Allerdings ist mir relativ schnell klargeworden, auch über den Regionalmarkt in Hamburg, auf dem wir im September 2012 einen kleinen Stand hatten, dass man eigentlich ein Ladengeschäft braucht. Entweder einen Marktstand oder ein Ladengeschäft oder irgendeine Möglichkeit, dass die Leute probieren können. Ich hatte auch schon Kooperationen mit Gaststätten oder Restaurants überlegt, die ähnliche Angebote haben, die sich auch Regionalität auf die Fahnen schreiben. Das habe ich aber erst mal alles zurückgestellt, weil ich durch den Nachbarstand auf dem Regionalmarkt, die Ökomelkburen, auf die Initiative zur Gründung der Regionalwert AG gestoßen bin und da dann ziemlich schnell involviert war. Die Gründung haben wir jetzt mit acht bis zwölf aktiven Leuten anderthalb Jahre lang vorbereitet. Da blieb wenig Zeit, um meinen eigenen Regionalwarenladen auszuweiten.

Eat local

Leute wie Ulrike haben meistens einen eigenen Hofladen, wo der Hamburger aber nicht hinfährt. Oder nur einmal im Jahr. Dann beliefert sie weitere Hofläden in den Dörfern drumherum und vielleicht auch mal einen Edeka, der ihren Käse verkauft. Und das war‘s. Manche Produzenten sagen auch, mit den Mengen, die ich verkaufe, bin ich zufrieden, mehr muss ich nicht machen. Aber viele hätten gerne weitere Vertriebswege, die nehmen gerne sogenannte Wiederverkäufer an. Da geht natürlich für die Hersteller ein bisschen was von der Marge runter, aber dafür haben sie auch die Arbeit im Verkauf nicht, das unterschätzen viele. Vermarktung und Verkauf sind schon eigene Tätigkeiten, die man möglichst professionell machen sollte. Und das kann nicht jeder. Nicht jeder Landwirt, nicht jeder Weiterverarbeiter ist auch ein guter Vermarkter.

Käse

Das ist ein Käse mit italienischen Kräutern drin, der ist schon etwas älter, das sieht man schon an dem schönen Schimmel, der sich da reinzieht.

Regionalulf

Ich habe eine Ausbildung als Werbekaufmann. Danach habe ich in Bielefeld Soziologie studiert, mit Schwerpunkt Wirtschaft und Kommunikation, sodass ich nicht so ganz ab vom Weg war. Aber Werbung und der ganze Agenturkram, das war mir viel zu eng. Schon in der Ausbildung wusste ich eigentlich, dass ich da nicht arbeiten wollen würde. Obwohl es auch viele nette Menschen gab. Aber diese Werberattitüde hat mir auch nicht so zugesagt. Dann habe ich nach etwas gesucht, das meinen Horizont ein wenig erweitert, und bin auf Soziologie gestoßen. Ich war zwei Semester in Paris, wo ich gerne auf Märkte gegangen bin und bei einem winzigkleinen Schlachter eingekauft habe, der wirklich alles besorgen konnte, selbst Sachen, die man hier nur schwer kriegt, Pansen für gebratene Kutteln und so. Das ist in Frankreich jetzt aber auch schon schwieriger geworden.

Hände

Mir macht es Riesenspaß, grundlegende Sachen mal selber zu machen. Wir holen von Ulrikes Landkäserei immer frische Milch, direkt aus der Milchkammer. Wenn man die über Nacht stehen lässt, hat man drei, vier Zentimeter Rahm oben drauf. Den muss man abschöpfen, dann lässt man es nochmal ein paar Stunden stehen, lässt unten etwas dünnflüssigere Molke ab, und wenn man das Ganze dann zehn Minuten richtig kräftig schüttelt, hat man Butter. Und die schmeckt einfach großartig. Echte Rohmilchbutter. Die französische Familie, zu der ich seit Schüleraustauschzeiten noch Kontakt habe, war hellauf begeistert, dass sie bei uns Rohmilchbutter probieren konnte. Die Oma des Mannes der Schwester meines Austauschschülers hatte auch eine Kuh und hat früher immer Butter gemacht. Da fanden sie das absolut großartig. Und ich auch.

Eat local

Was ich auch lange nicht wusste, ist, dass ein Großteil der Buttermilchprodukte, die man heutzutage im Laden kaufen kann, mit der Butterherstellung gar nichts mehr zu tun haben. Das ist nur eine gesäuerte Magermilch. Weil viele Molkereien – oder Meiereien, wie man hier ja sagt – gar keine Sauermilch mehr herstellen, und auch keinen Sauerrahm mehr machen. Es gibt auch keine saure Butter – weil es einfach Zeit braucht. Und Zeit kostet Geld in der Produktion. Obwohl Sauerrahmbutter viel besser schmeckt und viel bekömmlicher ist. Die Meierei Horst bei Elmshorn macht so etwas noch. Richtig echte Buttermilch ist etwas komplett Anderes als das, was man so im Laden bekommt.

Salami

Das hier ist eine Rindersalami vom Limousinrind, ohne Pökelsalz. Sie wird eigentlich am besten, wenn man sie ein, zwei Wochen in der Küche hängen lässt. Dann trocknet sie richtig schön durch und wird ganz dunkel. Nitritpökelsalz verhindert Oxidation. Bei einer Salami mit normalem Meersalz oxidiert das lustig vor sich hin, was aber nicht schlecht ist. Schmeckt trotzdem sehr lecker. Eigentlich wird sie mit jedem Tag besser. Man kann sie auch angeschnitten schön in die Küche hängen und jeden Tag ein, zwei Scheiben runterschneiden.

Wurst

Ein langsamerer Produktionsprozess, egal bei welchem Produkt, bewirkt auch, dass viele schädliche Stoffe, die Unverträglichkeiten hervorrufen können, abgebaut werden. Zum Beispiel wird in Sauerteig, der genügend Zeit bekommt, das Gluten abgebaut. Selbst wenn man dafür eine Disposition hat, merkt man es normalerweise nicht, wenn man vernünftig verarbeitete Lebensmittel zu sich nimmt. Entsprechend wird bei Milch-, Butter- oder Joghurtprodukten Lactose abgebaut.

Dazu kommt das Problem der hochgezüchteten Tiere und Getreidesorten. Kühe müssen heutzutage so viel Milch geben, dass man ihnen von vornherein nur Kraftfutter gibt – da ist es kein Wunder, wenn sich Unverträglichkeiten ergeben. Das ist schlecht für das Tier, es ist schlecht für die Umwelt, es ist mit Sicherheit auch schlecht für den Menschen. Ich habe Kunden, die haben eine Apfelallergie, können aber alte Sorten essen, da sind weniger Allergene drin. Es ist eigentlich überall das gleiche.

Sortiment

Der Regionalwarenladen war zuerst eher ein Hobby. Ist er auch immer noch, bis jetzt habe ich da nur Geld reingesteckt. Was im Aufbau eines Geschäftes aber auch normal ist. In den letzten anderthalb Jahren habe ich nicht mehr großartig investiert, weil klar war, dass wir irgendwann ein Ladengeschäft brauchen werden. Und dann habe ich mit der Regionalwert AG eine reelle Chance gesehen, das mit einer breiteren Eigenkapitalbasis zu realisieren. Ohne dass man sich bis über beide Ohren verschuldet. Auf dem Regionalmarkt im September 2012 in der Hafencity habe ich also die Ökomelkburen kennengelernt. Die hatten damals schon ihre freundliche Milchkuh Mausi dabei, und sie hatten einen Zettel ausliegen: Aufruf zur Gründung einer Regionalwert AG für Hamburg und Schleswig-Holstein. Mit Hinweis auf eine Infoveranstaltung mit Christian Hiß, dem Geschäftsführer und Vorstand der Regionalwert AG Freiburg.

Glas

In Freiburg gibt es die Regionalwert AG schon seit 2006. Gegründet von dem Biobauern und Gärtnermeister Christian Hiß. Entstanden ist die Idee in Diskussionen, die er in Kooperation mit der Uni Freiburg in seinem eigenen Gewächshaus veranstaltet hat, und herausgekommen ist die Idee zur Regionalwert AG. Und die so geht: Die Regionalwert AG gibt Bürgeraktien aus, jeder kann sich Aktien kaufen. Das Geld wird in die gesamte Wertschöpfungskette der Land- und Lebensmittelwirtschaft vom Acker bis zum Teller investiert. Die Regionalwert AG kauft zum Beispiel Bauernhöfe, die keinen Nachfolger haben. Höfe ohne Nachfolger werden heute meistens an den nächstgrößeren Nachbarn verpachtet, was den Trend zu immer größeren Betrieben stärkt. Gleichzeitig gibt es viele junge Bauern, die Landwirtschaft studiert haben, eine Zeit lang auf einem anderen Hof gearbeitet haben, sich aber keinen eigenen Hof leisten können. Und das bringt man zusammen. Die Regionalwert AG gibt das Eigenkapital für den Kauf eines Hofes und kümmert sich gemeinsam mit dem jungen Bauern und dem abgebenden Bauern um die Übergabe. Es ist ja immer auch eine Herzenssache, wenn da viele hundert Jahre Familiengeschichte verkauft werden.

Und dann investiert die Regionalwert AG auch in weiterverarbeitende Betriebe wie Bäckereien, Mostereien, Molkereien, Schlachtereien, was auch immer. Und in eigene Händler und Gastronomiebetriebe. Die werden alle durch die Investition vertraglich auf sozial-ökologische Kriterien verpflichtet. Die ökologischen Kriterien sind am Anfang der Wertschöpfungskette bei den Bauern am schärfsten – die Bauern müssen die Flächen, wenn es noch keine Bio-Flächen sind, spätestens nach vier Jahren umgestellt haben, man überbrückt da finanziell auch die schwierige Zeit der Umstellung. Am Anfang müssen die Bauern ja schon bio produzieren, aber noch konventionell verkaufen. Erst die dritte Ernte nach der Umstellung darf als bio verkauft werden, weil dann Pestizide etcetera nicht mehr nachweisbar sind. Die Betriebe können sich, wenn sie auf bio umstellen, den Verband aussuchen, dem sie sich anschließen möchten. Minimum ist EU-Bio, aber gewünscht ist, dass sie sich einem Verband anschließen, Bioland oder Demeter oder Naturland oder so. Das Biosiegel ist viel Aufwand, und man muss es sich jedes Jahr neu bestätigen lassen. Man muss immer wieder alles Mögliche nachweisen. Gerade für kleine Betriebe ist es enorm aufwändig, sich zertifizieren zu lassen.

Regionalulf

Und der Trick bei der ganzen Geschichte ist, alle Betriebe, vom Bauernhof bis zum Teller, dazu anzuhalten, sich untereinander möglichst viele Produkte abzunehmen. Dass die Interessen gleichgerichtet werden. Damit der Händler, der den Marktzugang und damit die Marktmacht hat, nicht mehr bestimmen kann, wer ihm was und zu welchen Preisen liefern darf.

Neulich habe ich mit einem Obstbauern aus Schleswig-Holstein gesprochen, der hatte mit großen Lebensmittelketten verhandelt. Er hat sämtliche Bedingungen erfüllt, baut regional an, vermarktet regional, das ging bis hin zu einem Nachweis von Mindestlöhnen für seine Saisonarbeitskräfte, was ja grundsätzlich eine gute Idee ist, und dann ruft er die an und sagt: dann und dann habe ich so und so viel Pflaumen. Und der Einkäufer sagt: tut mir leid, ich habe hier gerade einen LKW aus Ungarn stehen, mit dem Preis kommen Sie eh nicht mit. Genau das wollen wir mit der Regionalwert AG beheben. Auf allen Ebenen die Interessen gleichrichten, vom Aktionär bis zum Konsumenten, der im Idealfall natürlich auch Aktionär ist. Wenn der vor der Wahl steht, geh ich zum konventionellen Supermarkt oder in den Regionalwert-Biomarkt, da wird der Liter Milch dann zehn Cent teurer sein, aber dafür weiß er, von welchen Höfen sie kommt und dass sie vernünftig erwirtschaftet wird.
Irgendwann mal, wenn Überschüsse erzielt werden, können wir auch eine finanzielle Rendite erwirtschaften, aber wir sind keine Renditejäger. Wir sagen keine Rendite von X Prozent pro Jahr voraus. Wir sind aber bei den Betrieben an Gewinn und Verlust beteiligt, mit Betonung auf beidem. Bei Überschüssen der Regionalwert AG können die Aktionäre auf der Jahresversammlung entscheiden, was mit dem Geld passieren soll. Sie können es sich auszahlen lassen oder reinvestieren.

Flasche

Vor kurzem haben wir uns die Hauptversammlung der Regionalwert AG Freiburg angeguckt, wo sämtliche Partnerunternehmer den Aktionären erzählen, was in ihren Betrieben im letzten Jahr passiert ist. Was mit dem Geld bewirkt wurde. Das geht von Humus-Aufbau über betriebliche Ausbildung bis hin zu finanziellen Zahlen. Wieviel habe ich aus dem Regionalwertnetzwerk bezogen, kann ich den Ertrag steigern, wenn nein, warum nicht, wenn ja, wie. Und so weiter. Und da kann man mit allen diskutieren, was mit Überschüssen passieren soll, das ist auch eine Art Bewusstmachung.

Wurst

So entsteht ein wunderbares Netzwerk. Man kommt als Händler aus der Marktmachtausbeutungsschiene raus, die ja gefühlt irgendwie immer da ist. Man geht in eine Kooperation, statt in Konkurrenz oder Kostendruck, und das ist eine schöne Sache. Wenn wir eines Tages ein vernünftiges Regionalwertnetzwerk haben – und wir kriegen heute schon alle zwei Wochen Investitionsanfragen – dann hat man direkten Zugriff auf die Produkte, bei höchster Transparenz. Es ist nicht wie bei großen Biosupermarktketten, wo dann immer das gleiche Logo drauf prangt und man eigentlich gar nicht mehr weiß, was dahinter stattfindet oder wo es überhaupt herkommt.
Bei uns wird man genau sehen können, wo die Sachen herkommen, wo sie weiterverarbeitet wurden, wo sie verkauft wurden.

Das Investitionsvolumen der Regionalwert AG muss bei mindestens 10 Millionen Euro liegen, so viel Eigenkapital müssen wir zusammenkriegen. Die müssen wir nicht sofort einsammeln, das muss nicht in zwei Jahren passieren, das muss man langsam aufbauen. Wir haben ja Zeit. Das haben wir auch den Mitgründern gesagt. Aber da müssen wir hin. Wir hatten aus dem ursprünglichen Mitgründerkreis immer rund 60.000 Euro. Damit kann man eine AG gründen, aber damit kommt man als AG noch nicht zu einem fertigen Wertpapierprospekt, den man veröffentlichen muss, wenn man eine Kapitalerhöhung machen möchte. Der muss von der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, genehmigt werden, was auch wieder Kosten verursacht, denn das muss man mit den entsprechenden Rechtsanwälten vorbereiten.

Im April 2014 waren wir so weit, dass wir gesagt haben, wir trauen uns jetzt zu, unter bestimmten Maßgaben an die Öffentlichkeit zu gehen. Wir haben eine Informationsveranstaltung organisiert, zu der wir auch Christian Hiß aus Freiburg eingeladen haben. Das haben wir mit einer kleinen Presse-Aktion begleitet, Hans Möller von den Ökomelkburen ist wieder mit seiner Milchkuh Mausi nach Hamburg gekommen, und wir haben die Erlaubnis erhalten, die Kuh auf die Michelwiese zu stellen, um auch im Bild rüberzubringen, dass wir Stadt und Land zusammenbringen wollen. Die Stadt ist natürlich die Hauptquelle für Eigenkapital und nachher auch der Absatzmarkt.

Milchkuh Mausi

(Foto: Regionalwert AG)

Bei dieser Veranstaltung haben wir zahlreiche neue Mitgründer gewonnen, so dass wir am 23.5. einen Notartermin mit 45 Personen und Unternehmen in Hamburg hatten, wo wir offiziell gegründet haben, mit einem Kapital von 150.000 Euro. Budnikowsky war dabei, Voelkel war dabei. Das Schöne bei der Gründungsveranstaltung war, dass vom schleswig-holsteinischen Bauern aus Dithmarschen bis hin zu Pensionären aus Hamburg und gestandenen Unternehmern alle in einem Raum versammelt waren. Das war eine sehr, sehr lustige Gründungsveranstaltung, die für den Notar auch ein wenig ungewöhnlich war. Mit 45 Leuten zu gründen ist nicht gerade üblich. Wir mussten extra einen Raum mieten. Der Notar hat sich beim Termin auch als Rampensau entpuppt und sämtliche Schnellsprechrekorde seiner Zunft pulverisiert. Er musste ja sämtliche Namen und Adressen vorlesen. Die Adressen nur einmal, die Namen gleich mehrfach. Wir haben es trotzdem in drei Stunden über die Bühne bekommen.

Cider

Jetzt sind wir also gegründet. Wir fahren jetzt zweigleisig: Wir bereiten den Wertpapierprospekt vor, wobei wir da den großen Vorteil haben, dass wir mit den Dokumenten aus Freiburg arbeiten können. Wir werden auch mit deren Anwalt zusammenarbeiten, der den Prospekt geschrieben und bei der BaFin eingereicht hat. Mein Traum ist, dass der Wertpapierprospekt bis Ende des Jahres fertig ist und bei den Leuten, die schon alles haben, schön unterm Baum liegen kann. Parallel sind wir dabei, bis Ende des Jahres Investitionen in Businessplanreife zu haben, sodass wir den Investoren sagen können, welche Projekte wir realisieren wollen. Unter anderem wird das ein Ladengeschäft für die Hamburger Regionalwaren sein. Der Laden, das sagen die Freiburger auch, der Marktzugang ist mit das Wichtigste.
Im Regionalwarenladen liegt dann am besten auch das Büro der Regionalwert AG, mit einem Besprechungsraum, wo man gleich mit Leuten, die das interessiert, ins Gespräch kommen kann. Und wenn sie mehr wissen wollen, kann man ihnen das Konzept der Regionalwert AG am lebenden Objekt des Ladens und seinen Produkten erklären und sich bei einem schönen Stück Käse darüber unterhalten.

Käse

Wenn wir ein eigenes Ladengeschäft haben, dann würde ich da gerne auch ein kleines Bistro anschließen, sodass man von den frischen Sachen möglichst wenig wegwerfen muss und sie zu Frühstück oder Mittagstisch weiterverarbeiten kann. Dann sehen die Kunden einen Laden, der gut aussieht, mit Produkten, bei denen genau dransteht, von welchem Hof sie kommen, mit Gesicht und Geschichte. Jeder kann dann auch mal hinfahren und nachgucken.

Sobald der Wertpapierprospekt steht, wollen wir auch Informationsveranstaltungen in weiteren Städten der Region anbieten. Ich war am Wochenende gerade in Kiel, die Leute haben großes Interesse an solchen Veranstaltungen. Da kommen auch tolle Ideen und Fragen, wie zum Beispiel was man außer Geld noch beitragen kann. Das fragen wir jetzt mit unserem Newsletter ab und bauen so ein Kompetenznetzwerk auf. Von Leuten, die Know-how haben in Aktienrecht, in Betriebsführung, was man alles so brauchen kann. Und man kann ziemlich viel gebrauchen bei der ganzen Geschichte.

Fahrrad

Mein Traum ist es, so richtig schöne kleine, regionale – oder sogar lokale – Produktzirkel hinzubekommen. Wo man zum Beispiel eine Brauerei, einen Ackerbauern, einen Milchviehbetrieb und eine Molkerei und vielleicht noch ein wenig Schweinemast zusammenschaltet. Dann sagt die Brauerei: lieber Ackerbauer, ich brauche nächstes Jahr das und das an Gerste, dafür kann der Milchbauer das und das an Braumaische erwarten, also Kraftfutter. Gleichzeitig kann der Milchbauer dem Ackernbauern sagen, ich hab nächstes Jahr das und das an Dung. Und die Molkerei gibt die Molke auch an die Schweinemast ab. Das ist die Lieblingsspeise von Schweinen. Der Aktionär hat tolles Bier, alle freuen sich. Und wir haben bei den Hamburger Regionalwaren alles im Angebot.

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Wir wollen mit der Regionalwert AG auch Dienstleistungstöchter gründen, die zum Beispiel Kommunikation als Dienstleistungsbaustein für die Zulieferbetriebe anbieten können. Dann kann man jedes Jahr zu den Partnerbetrieben fahren, fragen, was habt ihr im nächsten Jahr an Themen, was passiert bei Euch überhaupt, und gucken, ob das regionale Themen sind. Der Weideaustrieb im Frühjahr bei den Milchbauern gibt zum Beispiel immer großartige Bilder, besonders in Filmen, weil die Tiere so Bocksprünge machen. Weil sie es so geil finden, wenn sie nach mehreren Monaten im Stall wieder raus auf die Weide dürfen. Oder wir vermitteln, wann es die ersten regionalen Kartoffeln gibt. Die Leute wollen ja schon zum Spargel neue Kartoffeln und kaufen dann die aus Ägypten. Zum Spargel aus Griechenland. Dabei sind die Kartoffeln vom letzten Jahr noch wunderbar und sehr viel ressourcenschonender produziert.

Honig

Man hat also auf der kleinsten Ebene der einzelnen Betriebe jede Menge Kommunikationsthemen, die man über alle denkbaren Kanäle spielen kann. Und die dann auf der Ebene der Regionalwert AG und der Händler multipliziert werden. Über Social Media, über Newsletter, über alles, was man so hat. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Element, um schneller auf eine gewisse Größe zu kommen. Man kann den Multiplikatoreffekt sinnvoll einsetzen, nicht nur für die klassischen Medien, sondern auch für die Aktionäre, die wissen, wo ihre Produkte herkommen. Und wenn sie Freunde zum Abendbrot einladen, können sie ihnen die Geschichte des Käses erzählen.
Ich glaube, man hat mehrere Hebel, um das Ding schnell zum Laufen zu kriegen.

Viele Leute fragen, warum wir nicht eine Genossenschaft gründen. Die AG ist erstens die transparenteste Unternehmensform, die es gibt. Zweitens hat sie den wahnsinnigen Vorteil gegenüber einer Genossenschaft, dass Aktien nicht kündbar sind. Wenn ein Teil der Genossen sagt, aus irgendwelchen Gründen brauchen wir Geld, wir steigen jetzt alle aus, dann hat man ein Problem. Aktien kann man nur verkaufen. Und wir geben nur vinkulierte Namensaktien aus, das heißt Aktien, die man nur mit Zustimmung der Regionalwert AG weiterverkaufen kann. Eine Börsennotierung streben wir nicht an. Das Stimmrecht ist auf maximal 20 Prozent der Anteile beschränkt. Damit schützen wir uns als Unternehmen davor, dass wir irgendwann nicht mehr wissen, wem die AG gehört. Oder dass sie an Leute verkauft wird, die wir vielleicht nicht mögen.

Senf

Am meisten Spaß macht es, dass man mit wahnsinnig vielen wahnsinnig verschiedenen Leuten aus der Region zu tun hat, die sich teilweise, wie bei unserer Gründungsveranstaltung, über dieselben Dinge amüsieren. Vom Dithmarscher Gemüsebauern bis zum Hamburger Großbürger, die sich zusammensetzen und gemeinsam etwas voranbringen wollen. Für die Region. Ich bin auch selbst regional sehr verwurzelt, ich komme aus dem Herzen Schleswig-Holsteins, aus Mittelholstein bei Neumünster. Dann habe ich in Hamburg gewohnt und wohne jetzt ein paar Kilometer südlich der Elbe. Das Leben dort ist nicht dasselbe wie im Norden, trotzdem wohne ich im besten Dorf der Welt und würde nicht irgendwo anders leben wollen. Ein sehr entspannter Ort, ohne den Zwang zu Schützenfesten. Man kann mit fast jedem aus dem Dorf mal ein Bier trinken.

Most

Regionale Sachen haben mich schon immer interessiert. Von der Geschichte bis zur Sprache – Plattdeutsch liegt mir auch sehr am Herzen, was schön ist, wenn man mit Bauern zu tun hat. Ich bin also nicht wegen der Machenschaften der Lebensmittelkonzerne motiviert, ich bin positiv motiviert. Ich finde die Produkte großartig, und die Regionalwert-Idee ist die großartigste Idee, die mir im ganzen Leben über den Weg gelaufen ist. Nach der ersten Infoveranstaltung 2012 konnte ich die halbe Nacht nicht schlafen, weil es die ganze Zeit in meinem Kopf gerattert hat, was man mit diesen Instrumenten für großartige Sachen machen kann. Natürlich finde ich es scheiße, wenn Tiere gequält werden oder wenn alles totgespritzt wird und die Artenvielfalt auf dem Land mittlerweile geringer ist als in der Stadt. Aber jetzt haben wir ein Instrument, mit dem man diese Dinge ein bisschen besser machen kann, und das den Leuten auf allen Ebenen etwas bringt, wenn alle an einem Strang ziehen und es mit unternehmerischen Mitteln hinbekommen. Mit dem urkapitalistischen Instrument einer AG die Nebenwirkungen des Kapitalismus zu beseitigen, das ist doch sensationell.

Regionalulf

»Die Oma des Mannes der Schwester meines Austauschschülers hatte auch eine Kuh und hat früher immer Butter gemacht.«

Links: Regionalwert AG
Regionalwarenladen

4 Kommentare

  1. »es ist verschärft damit zu rechnen, beim Lesen Hungeranfälle zu bekommen« – genau, das Interview macht Appetit und Lust, die Regionalwert AG zu unterstützen. Für mehr Genuss und transparentere und natürlichere Produktion unserer Lebensmittel!

  2. Sehr gerne gelesen und mich gefreut über den schönen, informativen und langen Bericht u n d über diesem von so viel positiver Energie getragenen Projekt.macht richtig froh !

  3. Lange nicht so sinn- und geschmackvoll prokrastiniert. Schön, gutes zu lesen und zu wissen, dass es gerade jetzt irgendwo umgesetzt wird. Schön auch, die Langsamkeit gelobt zu wissen. Man denkt sich ja schon, dass all die Eile und Effizienz der heutigen Gesellschft ungesund sein muss, aber dass Unverträglichkeiten durch normale Reifeprozesse der Lebensmittel gar nicht erst zum Problem werden würden, überrascht mich doch. Viel neues gelernt in diesem Blogeintrag. Auch über Wirtschaft. Danke für den sehr interessanten Ein- und Ausblick.

  4. Jutta B hat mich auf diesen link gebracht – Danke – ich habe es sehr gern gelesen – ich bin ein hessisches Dorfkind und konnte meinen Cousin nicht bewegen, umzustellen. Hier geschieht ´was – toll. Ich wünsche weiter gute Entwicklung und regionalen Genuß. H.

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