Kay-Alexander Böttcher, Glasermeister und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger
Ich bin Glasermeister und führe eine Glaserei. Bei vielen Handwerksberufen ist der Meisterzwang mittlerweile aufgehoben, außer bei den „gefahrengeneigten“ Berufen, und die Glaserei ist ein gefahrengeneigter Beruf. So gefährlich ist Glas aber auch nicht. Man muss nur wissen, dass man mit Glas immer in einer gewissen Gefahr ist. Wenn ich mit Glas umgehe, besteht immer die Gefahr, dass ich mich verletze oder mich schneide oder was weiß ich. Wenn ich unachtsam bin, dann passiert das eben. Man darf es nie zu routiniert machen, man muss immer aufpassen.
Andere Handwerke, beispielsweise Fliesenleger, brauchen keinen Meistertitel mehr. Die haben auch gerade große Probleme mit dem Nachwuchs, weil fast jeder sich selbständig machen kann – die können dann aber nicht ausbilden. Zum Ausbilden muss man nach wie vor Meister sein oder wenigstens die Ausbildereignungsprüfung gemacht haben. Und wenn jeder meint, er kann sich selbständig machen, ohne Ahnung zu haben, oder zumindest ohne Ahnung nachweisen zu müssen, dann wird das schwierig. Man sollte wenigstens Geselle sein, aber die Handwerkskammern machen da viele Ausnahmegenehmigungen. Wenn du sagst, ich will mich im Handwerk selbständig machen, dann ist die Handwerkskammer so froh, dass einer einen Betrieb aufmacht, dass man sofort eine Ausnahmegenehmigung bekommt. Das ist vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber im Grunde läuft es genau so.
Das machen sie mit Glasereien auch, wenn einer sagt, ich mach meinen Meister ganz bestimmt irgendwann, dann darf der auch jahrelang ohne Meister arbeiten. Das ist blöd, aber es wird ausgereizt.
Ich habe meine Meisterprüfung 1996 gemacht und seitdem immer weiter dazugelernt und Fortbildungen besucht und so weiter. Mein Vater ist Ende 2009 endgültig aus dem Betrieb ausgeschieden. Bis dahin haben wir hier zusammen gearbeitet.
Ich habe jetzt zwei Gesellen, einen Lehrling, meine Frau im Büro und zurzeit auch einen Praktikanten. Einen guten Praktikanten, den wir auch gerne in ein Ausbildungsverhältnis übernehmen wollen. Er hat das Praktikum gerade bis Mai verlängert, er kam über so eine Betreuungsgesellschaft – mit denen muss man das immer abstimmen, weil die Praktikanten von der Gesellschaft Geld bekommen, und die Gesellschaft bekommt dann dafür wieder Geld. Der Betreuer kommt auch regelmäßig her und guckt. Diese Gesellschaft versucht normalerweise, Behinderte zu integrieren, aber er ist nicht behindert, wir haben bisher nur festgestellt, dass er manchmal Probleme hat, sich mehrere Sachen gleichzeitig zu merken. Aber dagegen hilft ja schon ein Notizbuch.
Wir wollen das Praktikum bis August verlängern, ab September kann er dann die reguläre Ausbildung machen – wenn sich das so entwickelt, wie es sich jetzt andeutet. Seinen Hauptschulabschluss hat er geschafft, obwohl er erst mit 10 Jahren nach Deutschland gekommen ist, das finde ich schon ganz ordentlich. Bei vorigen Praktika, die er gemacht hat, durfte er nach seinen Erzählungen nur putzen; in einem Betrieb wurde ihm gleich gesagt, kannste vergessen, Kundenkontakt mit dir können wir nicht machen. Das finde ich unmöglich. Bloß, weil er schwarz ist.
Ich hatte noch keine negativen Äußerungen von Kunden. Mein Nachbar hat meiner Frau gegenüber mal gesagt, mit einem Farbigen im Handwerk, das geht ja gar nicht! Ich weiß aber nicht, ob er weiß, dass wir einen Farbigen haben. Ich verstehe nicht, was die Leute dagegen haben. Er ist nett und immer freundlich und gut gelaunt, und wenn du so einen blöden, dämlichen deutschen Dussel dagegen siehst! Ich hatte schon welche, denen man nicht mal das Fegen beibringen konnte. Das ist nicht übertrieben. Der jetzige Praktikant ist super.
Erstaunlich viele Leute wissen gar nicht, was ein Glaser überhaupt macht. Wir führen alle Arten von Reparaturen aus. Wenn ein Junge den Ball durch die Fensterscheibe schießt, das ist sowas Normales. Oder Sturmschäden, zugeknallte Türen, Einbruchglasschäden, Vandalismus, sowas. Vor zwei Jahren bei dem Sturm Christian, da hatten wir mehrere Vordächer, die teilweise ganz schön weit geflogen sind, nachdem sie die Dübel aus der Wand gerissen hatten. Oder ein Baum fällt in einen Wintergarten. Also alles, was mit Glas oder an Glas kaputtgeht, das reparieren wir. Das geht beim Kühlschrank los, wenn die Hausfrau einen heißen Pudding reinstellt und die Glasplatte platzt. Das machen wir jede Woche, seit Jahrzehnten! Dabei ist das in heutigen Kühlschränken ganz anders, da ist das Sicherheitsglas, da kannst du ruhig einen heißen Pudding draufstellen, das geht nicht kaputt. Aber diese alten Dinger sind anscheinend noch sehr verbreitet, das haben wir wirklich fast jede Woche.
Dann machen wir den gesamten Innenausbau: Tischplatten, Spiegel und solche Geschichten, da wollen die Leute heute teilweise Beleuchtung dranhaben, das muss man auch können. Einmal kam ich in ein Haus, da hat das ganze Treppengeländer mit so LED-Dingern geleuchtet, es sah wirklich furchtbar aus, aber wir müssen das auch mit anbieten. Auch so ein Thema sind Duschabtrennungen, die machen wir häufig. Man bekommt die auch fertig im Baumarkt, für ein Drittel des Preises, aber das ist eine ganz andere Qualität. Wenn wir eine Duschabtrennung bauen, dann hält die zwanzig Jahre. Wenn du die aus dem Baumarkt kaufst, musst du vielleicht nach fünf Jahren eine neue kaufen. Das ist tatsächlich so. Die Leute vergleichen auch den Abholpreis vom Baumarkt mit unserem Preis für die komplette Leistung inklusive Einbau. Aber der Preisunterschied ist manchmal schwer zu vermitteln, gerade in Lübeck, es ist hier alles ein bisschen strukturschwach. Wir machen das trotzdem relativ häufig. Wir haben auch wasserabweisende Beschichtungen und so was. Diese Technisierung der Handwerksberufe ist ganz schön weit fortgeschritten.
Deswegen ist es auch so schwierig, Leute zu finden, die den Beruf überhaupt noch lernen können oder wollen. Das ist ja keine reine Glaserei mehr, das geht weit darüber hinaus. Wenn man sich den Bereich der Dichtstoffe ansieht, muss man schon ein halber Chemiker sein, um z. B. feststellen zu können, welche Materialien untereinander verträglich sind. Oder man muss Elektroarbeiten mit anbieten. Man muss halt immer weiterlernen, man muss außerdem auch ausrechnen können, was man an einen Dübel dranhängen kann, welche Dübel man für welchen Wandaufbau nehmen kann, dauernd muss man recherchieren und berechnen. Heutzutage muss jede Fensterscheibe berechnet und statisch nachgewiesen werden, das kriegen viele mit wenig oder gar keiner Schulbildung leider nicht hin, das kannst du vergessen.
Wenn du die Formeln siehst für statische Berechnungen unter Berücksichtigung von Eigenlast, Windlast, Schneelast, Klimalast, dann wird dir ganz elend. Außerdem ist Glaser nicht gerade ein Modeberuf, viele möchten lieber Mechatroniker werden und an Autos schrauben. Und das Geld spielt auch eine Rolle. Ein Glaserlehrling bekommt eine eher kleine Ausbildungsvergütung.
Historisches Glas machen wir auch, Restaurierungen, Sanierungen, Bleiverglasungen sowas, klar. Bleiverglasung ist hier in der Lübecker Altstadt teilweise noch weit verbreitet. Ein paar Häuser weiter hat sich neulich einer eine Bleiverglasung bestellt. Der hatte ganz moderne Fenster mit Dreifachverglasung, aber er wollte unbedingt eine Bleiverglasung drin haben. Das gibt es auch mal. Über der Couch war so ein Querfenster, da war seit Jahrzehnten eine Bleiverglasung, dann kamen neue Fenster, und dann sollte das eben wieder genau so gemacht werden. Finde ich persönlich nicht schön, aber das macht man natürlich, wenn der Kunde das haben will. Da muss man den eigenen Geschmack ein bisschen raushalten.
Die Innenarchitekten überfahren ihre Kunden oft eher. Da sagt mir der Architekt, wir machen da eine Duschabtrennung hin, und ich sage: Was will der Kunde denn, soll die Tür nach da oder nach da aufgehen? Und der Architekt sagt, das entscheidet er. Wo ich immer den Kunden fragen würde. Das machen einige nicht, die ziehen ihr Ding durch. Wenn sie da Geld für kriegen, dann müssen sie auch die Leistung bringen, meinen sie, und der Kunde muss das dann nehmen. Das finde ich nicht gut. Ich bin immer dafür, dass die Dinge alltagstauglich sind und funktionieren. Und damit es lange Jahre funktioniert, sollte der Kunde genau das bekommen, was für ihn richtig ist.
Man muss heute viel mehr verhandeln als früher, früher wurde nicht so über den Preis geredet. Mein Vater hat kaum Angebote geschrieben, er hat nur den Telefonhörer abgenommen und die Aufträge mitgeschrieben, und dann hat er nach getaner Arbeit die Rechnung geschrieben. Das ist heute nicht mehr so, heute wird viel mehr verglichen. Du kommst irgendwo an, und die Kunden haben schon drei Nächte im Internet recherchiert, die wissen schon mehr als du. Die haben sich dann aber vielleicht so ein Vordach ausgesucht, das in Deutschland gar nicht zulässig ist. Das darf man zwar verkaufen, aber nicht anbauen. Weil es keine Zulassung gibt. Und wenn du eine Zulassung haben willst, dann musst du dafür vielleicht 3000,- € bezahlen, weil die Statik und die Prüfungen und die Genehmigungen soviel kosten. Das ist dann schwierig, da führt man immer wieder dieselben Gespräche. Es ist ein bisschen zermürbend, aber das ist unser Alltagsgeschäft. Wenn eine Verglasung nicht mehr zulässig ist, dann sehen die Leute das oft nicht ein, dass es heute eben anders verglast werden muss. Die Nachbarn nebenan haben das doch auch so, und das hält schon dreißig Jahre, da ist es schwer zu vermitteln, dass es heute nicht mehr geht. Da gibt es dann welche, die sagen, Sie wollen ja nur Geld verdienen. Aber ich hab das ja nicht verboten.
Brüstungsscheiben am Balkon dürfen z.B. nicht mehr in Drahtglas ausgeführt werden. Und wenn von zehn Scheiben eine kaputt ist, ist es für den Kunden schwer einzusehen, dass wir da kein Drahtglas mehr einbauen dürfen. Daran sind schon Aufträge gescheitert, weil ich mich konsequent an die Bestimmungen halte. Ich arbeite ja außerdem auch noch als Sachverständiger und stelle fest, ob etwas den Vorschriften entspricht; da muss ich sie natürlich selbst auch einhalten. Ich muss die Arbeit einfach richtig machen. Das Dumme ist nur, dass der Kunde meistens einen anderen Betrieb findet, der sich darüber hinwegsetzt und doch wieder Drahtglas einbaut. Auch weil Glaserarbeiten von vielen Betrieben, die an den Vorschriften nicht interessiert sind, oder die da noch nie etwas von gehört haben, unzulässigerweise mit angeboten werden. Die Reparatur einer Verglasung darf nur ein Glaser machen, eben weil es ein gefahrgeneigter Beruf ist. Aus diesem Grund fahre ich auch in fast allen Fällen selber zum Ausmessen zu den Kunden, um eventuelle Gefahren zu erkennen, das finde ich sehr wichtig.
Zahlungsausfälle haben wir manchmal auch. Wir sind schnell – bei einem Glasschaden muss man ja auch schnell sein, wenn ein Fenster kaputt ist, dann muss das immer sofort gemacht werden. Da kann man nicht sagen, ich schreib Ihnen in Ruhe ein Angebot, und dann kommen Sie mal vorbei und unterschreiben das … bis dahin ist das längst eingebaut. Wenn du aber keinen schriftlichen Auftrag hast, dann kannst du auch gerichtlich nicht dagegen vorgehen, wenn das Geld nicht kommt. Dann sagen die Kunden vielleicht, ich wollte doch nur ein Angebot, ich habe ihnen gar keinen Auftrag erteilt. Und man hat nichts in der Hand und kann nichts machen, und dann kriegt man auch kein Geld. Das Fenster wieder ausbauen geht auch nicht, denn wenn es eingebaut ist, gehört es dem Kunden. Alles, was fest mit dem Gebäude verbunden ist, ist Eigentum. Als Unternehmer hat man da keine Chance.
Deshalb telefoniert meine Frau auch den ganzen Tag und macht Vertragsprüfung, so nennt man das. Sie verschickt Auftragsbestätigungen, klärt, wer eigentlich der Auftraggeber ist, wer versichert ist, z.B. Mieter oder doch der Vermieter, ob die Versicherung auch wirklich besteht, auf welchen Namen die Rechnung ausgestellt werden soll und so weiter. Wenn ein Mieter sagt, das zahlt mein Vermieter, dann muss man da schon mal nachfragen. Wir machen bei Glasschäden für die Kunden auch die ganze Abwicklung mit den Versicherungen, vom Kostenvoranschlag bis zur Schadensdokumentation.
Was ich an der Arbeit immer interessant finde, ist, dass man so viel zu sehen kriegt. Ich komme ja in Wohnungen rein … von den Leuten, die hausen, bis zu denen, die residieren. Da gibt es welche, wo die Penner auf dem Sofa liegen und Fernsehen gucken, und die merken gar nicht, wenn du reinkommst, bis hin zu einem Fall, wo ein Achtjähriger aufmacht und sagt: Sie wünschen, bitte? Und: Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Sowas hat man auch, das gibt’s alles! Und alles, was dazwischen ist. Vom Waten in Heroinspritzen bis „Lassen Sie den Dreck ruhig liegen, die Auffahrt wird noch gesaugt.“ Das ist wirklich interessant.
Die technische Entwicklung ist auch immer interessant. Früher musste man einfach kitten und zumachen und dafür sorgen, dass es nicht reinregnet. Heute muss man mit so einer Scheibe tausend Anforderungen erfüllen. Sonnenschutz und Wärmeschutz und was weiß ich. So eine Scheibe kann heute viel mehr. Dafür wird es eigentlich alles viel zu billig verschleudert, weil die Industrie so viel überproduziert. Im Grunde ist alles viel zu billig. Das ist auch eine Folge der Wiedervereinigung, danach haben sie drüben so dermaßen viele Werke gebaut, weil sie dachten, jetzt geht das richtig los – aber irgendwann ist es halt auch mal fertig. Aber die Werke stehen da immer noch und müssen jetzt irgendwie ausgelastet werden. Dann kommen die Fabriken in Polen dazu, in der Türkei, die verkaufen ohne Ende nach Deutschland, und dann geht der Preis immer weiter runter.
Ich arbeite immer am liebsten mit regionalen Anbietern zusammen, ich bin dafür, die Region zu stärken. Glas kann ich überall kaufen. Manchmal kommen tatsächlich auch Vertreter aus Österreich oder Holland hierher. Wollen Sie nicht mal bei uns Glas kaufen? – Nee, warum denn? Die haben ja auch nichts anderes als das hier aus Hamburg oder Schleswig-Holstein. Manchmal gibt es spezielle Produkte tatsächlich nur bei einem Hersteller, aber die meisten bekomme ich auch hier. Normalerweise versuche ich, alles in der Region zu besorgen, oder wenn es möglich ist, sogar lokal. Isolierglas kaufe ich in Reinfeld bei Hoog & Sohn, zum größten Teil jedenfalls, das ist der Isolierglashersteller, der am dichtesten an Lübeck dran ist. Das könnte ich auch genauso gut hinter Hamburg kaufen, oder in Hannover oder Würzburg. Die fahren auch hier hoch. Jede Woche. Mit dem Laster. Und bringen mir die Scheibe. Das ist total sinnlos! So viele Laster kommen hier auf den Hof und haben fast nichts hinten drauf. Und wenn man den Fahrer fragt, ob er schon Feierabend hat, sagt er, war heute nicht viel. Das lohnt doch alles nicht!
Wenn die sowieso mit einem vollem Lastzug fahren, dann ist das was anderes, aber wenn die für ein paar Scheiben hier hochkommen … weiß ich nicht. Da muss man das Glas doch nicht achthundert Kilometer durch Deutschland fahren, wenn ich das in der gleichen Qualität hier auch kaufen kann. Das kostet nicht mehr und nicht weniger, vom Preis her ist das vollkommen wurscht.
Was mir auch am Herzen liegt, ist die Ausbildung der jungen Leute. Der soziale Aspekt ist mir wichtig. Das ist ja auch sowas, was verlorengeht: heute kann jeder Hausmeisterdienste anbieten und fährt dann allein mit dem Auto los. Ohne einen Lehrling dabeizuhaben. Es werden keine Leute mehr ausgebildet. Und gleichzeitig wird es immer schwieriger, geeignete Praktikanten und Lehrlinge zu finden, weil sie von der Schule die entsprechenden Voraussetzungen nicht mitbringen. Dafür können die Handwerksbetriebe nichts. Wenn Du einen hast, der 150 nicht durch drei teilen kann, dann kann der den Beruf nicht lernen. So einen hatte ich hier, der hat es wirklich nicht geschafft, 150 durch drei zu teilen.
Der muss aber hinterher Wärmedurchgangsberechnungen machen, Gleichungen mit zwei Unbekannten und so weiter, so etwas kann der sich nicht mal vorstellen. In der Berufsschule hatten wir auch so jemanden, das werde ich auch nie vergessen: 2a + 2b, das konnte er sich nicht vorstellen. Zwei Äpfel plus zwei Birnen, das konnte er begreifen, aber 2a + 2b ging nicht in seinen Kopf. Überhaupt keine Chance. So jemandem kann man das auch nicht beibringen, der kann heute wahrscheinlich gar keinen Beruf mehr lernen. Früher konnten diese Leute noch Knecht werden, auf dem Bauernhof, aber den Beruf gibt es nicht mehr. Heute sind einfach alle Berufe kompliziert, und sie werden immer komplizierter. Von Woche zu Woche. Wenn du heute eine Fachzeitschrift durchblätterst, da fällst du vom Glauben ab. Wenn ihr das lest, das versteht ihr zum Teil gar nicht, was da drinsteht. So viel Fachwissen.
Da liest man dann über den Randverbund – also das, was beim Isolierglas zwischen den beiden Scheiben ist, der Abstandhalter. Der war früher einfach aus Aluminium, aber Aluminium leitet die Wärme besonders gut, deswegen macht man den heute aus Kunststoff oder Edelstahl. Da schreiben sie seitenlange Artikel drüber, dass sie diesen Wert jetzt wieder um ein Hundertstel verbessert haben, weil sie ein neues Material haben. Ich weiß nicht, was soll das noch alles? Wo soll das noch hinführen?
Jetzt machen sie Vakuum-Isolierglas, das zwischen den beiden Scheiben ein Vakuum hat, weil ein Vakuum am allerbesten isoliert. Aber das ist technisch natürlich schwierig, denn wenn die Luft raus ist, dann ziehen sich die Scheiben zusammen, das heißt, man braucht dazwischen wieder Abstandhalter. Aber die sind dann wieder zu sehen, also muss man erstmal Abstandhalter entwickeln, die unauffällig sind, am liebsten unsichtbar. Aber das machen die heute!
Das wird natürlich alles industriell gemacht, nicht bei uns im Handwerk. Die Energieeinsparverordnung verlangt, dass bestimmte Werte erfüllt werden, und die wollen sie natürlich möglichst billig erfüllen. Wenn sie jetzt von Zweifach- auf Dreifachglas gehen, dann hat man aber das anderthalbfache Gewicht. Das macht für den Handwerker was aus, das sind etliche Kilo mehr. Mit der Vakuumtechnik in Verbindung mit Sicherheitsglas können die Glasdicken wieder dünner sein, dann wird es wieder leichter. Und letztendlich auch billiger, weil man weniger Glasmasse braucht.
Die ganze Technisierung, oder diese LED-Geschichte, mitdenkende Haustechnik und wie das alles heißt, das ist schon Wahnsinn. Was kommen soll, ist ja, dass Fenster grundsätzlich als Bildschirme fungieren. Wenn du willst, kann du auch rausgucken, aber wenn du lieber eine Fernsehsendung sehen willst oder den Einkaufszettel, kannst du das alles aufs Fenster legen. Das kommt! Dann kannst du dir im Prinzip auch schönes Wetter aufs Fenster machen, wenn es draußen schäbig ist.
Das sind aber Dinge, die hat man dann immer weniger unter Kontrolle. Wenn da was kaputt ist, kannst du gar nichts mehr selber machen. Da brauchst du immer gleich einen Spezialisten. Und sowieso werden die Leute ja jetzt schon bekloppt in diesen Büros mit mitdenkender Haustechnik, wo alle 10 Minuten die Jalousien hoch- und runtergehen, da wird man komplett irre. Man hat da gar keinen Einfluss mehr drauf. Aber was alles an Funktionen in Glas reingebaut wird … und das ist erst der Anfang.
Hier ist der Bereich, wo unser Innendienstgeselle seine Arbeit erledigt. Zuschneiden und Schleifen und sowas. Wir haben einen Gesellen, der macht hauptsächlich Innendienst, der andere macht hauptsächlich Außendienst. Das wechselt auch mal, aber dem einen liegt das eine eben mehr, dem anderen das andere, und da hat sich das so eingespielt. Das hier zum Beispiel ist eine ganze Reihe von Tischplatten, da werden dann noch die Halterungen, die Adapter für die Tischbeine draufgeklebt, die haben wir noch nicht geliefert bekommen. Das ist für eine Ferienwohnungsanlage in Boltenhagen, ein ziemlich treuer Kunde. Die Adapter kauft er selber im Internet, aber die Glasplatten und die Verklebung kommen von uns.
Das hier ist ein Kantenschleifautomat. Da stellt man die Scheibe rauf, und dann wird die Unterkante geschliffen und poliert. Das wird nass geschliffen, wegen der Kühlung, und dann ist der Abrieb auch gleich im Wasser und man hat hier kein Problem, Glasstaub einzuatmen oder sowas.
Willst du mal Glas schneiden? Das Ding hier, der Glasschneider, hat hier so ein kleines Rädchen, ein Stahlrad, damit ritzt man das Glas an, und dann kann man das einfach abbrechen. Das ist keine Zauberei. Ich hatte hier mal einen, der hat das ewig versucht. Über eine Woche. Hat er aber nicht hingekriegt.
Damit es gerade wird, macht man das natürlich am Winkel. Den Winkel muss man festhalten, und dann kann man da einfach so dran entlangfahren. Bei dem dünnen Glas ist das ganz einfach, dann bricht man es ab, und zack! Bei dickem Glas ist es nicht mehr ganz so einfach, aber es geht im Prinzip genauso. Hier ansetzen; gucken, wo die Kante ist; du fängst auf dem Glas an, nicht dahinter; und dann drückst du leicht runter und ziehst das durch. Das ist alles. Und dann nach unten abbrechen. Und schön von Anfang an mit dem gleichen Druck.
Wer das nicht lernt, der kann auch nichts anderes machen. Das ist wirklich keine Zauberei. Auch mit dickerem Glas nicht. Aber der hat das nicht hingekriegt! Erst hatte er zu wenig Druck, dann ging es nicht gerade, dann fing er an, das Ding quer aufzusetzen, oder falschrum, dann hat es geschoben, da drehst du durch! Das kannst du echt vergessen. Er hat wirklich eine Tätigkeit, die jeder Schülerpraktikant in einer halben Stunde lernt, in einer ganzen Woche nicht hinbekommen.
Irgendwann musst du dann einfach sagen, das hat keinen Zweck, und den wieder nach Hause schicken.
Und dann bin ich noch Sachverständiger und schreibe Gutachten. Teilweise für Privatleute, die Schwierigkeiten mit Auftragnehmern haben, mit deren Leistungen unzufrieden sind und festgestellt haben wollen, ob die Leistung tatsächlich fehlerhaft ist oder überteuert oder so. Da stelle ich dann fest, ob das alles so gehört. Oder ich schreibe Gerichtsgutachten, da geht es immer darum, nur genau die Fragen zu beantworten, die der Richter gestellt hat. Im sogenannten Beweisbeschluss steht vielleicht drin: Ist das richtig, dass die Scheibe, was weiß ich, Front, Erdgeschoss, in der rechten unteren Ecke einen Sprung hat, und wenn ja, woran könnte das liegen? Da darf man nur diese Frage beantworten. Man darf nicht sagen, die Scheibe daneben ist auch kaputt. Dann bist du befangen und gleich wieder raus aus dem Verfahren. Nur die Fragen, die im Beweisbeschluss stehen. Außer es geht um Leib und Leben, da macht man dann eine Ausnahme. Wenn man sieht, dass die Scheibe daneben irgendwelchen Sicherheitsanforderungen nicht genügt und da einer abstürzen kann, dann kann man schon sagen: hier, das geht nicht.
Für diese Gutachtertätigkeiten muss man einen ganzen Haufen Lehrgänge machen und viel Rechtliches lernen, da hatte ich drei mehrtätige Seminare bei der Akademie des Handwerks auf Schloss Raesfeld im Münsterland. Man muss genau wissen, wie das alles gerichtlich abläuft, was man sagen darf, was man nicht sagen darf, wie man sich verhalten muss, wie man ein Gutachten schreibt und wie man einen Ortstermin abhält. Das ganze Procedere lernt man dort. Und wie es abgerechnet wird, das ist nämlich auch ein unglaublicher Verwaltungsakt. Die Rechnungen werden elend lang, weil du dich für jeden Punkt auf irgendeinen Gesetzesparagrafen beziehen musst: Nach Paragraf drei, Absatz zwei, soundso, berechne ich anderthalb Stunden davon … da sind Privatkunden doch ein bisschen einfacher. Da hat man drei Stunden gearbeitet und rechnet drei Stunden ab, und dann ist gut.
Ich darf immer nur entweder als Sachverständiger oder als selbständiger Glasermeister mit meiner Firma auftreten. Das muss ich supergenau getrennt halten, da darf es keine Verquickung geben. Man darf keine Vorteile aus seiner Gutachtertätigkeit ziehen. Es passiert natürlich oft, wenn man als Sachverständiger irgendwo war und die Arbeit eines anderen begutachtet hat, dass die Kunden zwei Tage später anrufen und fragen, ob ich das nicht in Ordnung bringen kann. Da muss ich dann sagen, nein, tut mir leid, da war ich schon als Sachverständiger tätig, das geht nicht. Wenn er drei Jahre später mit etwas anderem kommt, dann kann ich das gerne machen, aber nicht genau in dieser Sache. Da muss man unabhängig bleiben. Auch andersrum, wenn man jemanden als Kunden hat, kann man dort nicht als Gutachter tätig sein. Wenn man da einen Fehler macht, ist man ganz schnell weg vom Fenster.
»Wenn man mit Glas etwas falsch macht, kriegt man sofort die Quittung. Entweder man ist verletzt, oder das Werkstück ist kaputt. Oder beides.«
Kay-Alexander Böttcher hat auch ein Blog.
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- Ein Update bei “was machen die da” | Herzdamengeschichten - […] Bitte hier entlang. […]
- Weekly Leseempfehlung vom 30. January 2015 | off the record - […] Kay-Alexander Böttcher, Glasermeister und öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger … […]
Das ist ja mal mächtig interessant und ändert mein Bild vom Glaser komplett. Das dort schon sooo viel Technik mitspielt, hätte ich nicht gedacht. Echt abwechslungsreich, der Glaserberuf.
Wie heißt noch mal das Gegenteil von Text-Bild-Schere? Also, wenn beides genau zusammen passt? So wie der Satz »Und damit es lange Jahre funktioniert, sollte der Kunde genau das bekommen, was für ihn richtig ist« und das OK-Foto? Sehr schöne Fotos überhaupt; ich mag ja Maschinenteile und Material, gerade, wenn alles nicht ganz neu und geleckt ist, aber zugleich ordentlich und gut in Schuss gehalten.
Und ich habe wieder richtig viel gelernt. Danke, weitermachen!
Schöne Beschreibung und Ansicht, kann das so unterschreiben.
Gruß aus Bremen Andreas Kura
Guten Tag,
ich finde es gut, dass sie immer versuchen den Kunden zu fragen bei den Details. Das ist sehr vorbildlich und finde ich bewundernswert. Bei meiner Glastür wurde ich zum Glück auch gefragt und darüber bin ich Glücklich schließlich könnte ich ja einen Einwand haben.
Das ist ein sehr interessanter Artikel zum Thema Glaserei. Ich habe mir schon einige Beiträge dazu durchgelesen.
Klasse Beitrag. Solche Artikel sollte es öfter geben, damit man einen Einblick bekommt. Besonders die Sachverständigentätigkeit birgt Potential sich zu entwickeln
Kommentar *Die Arbeit des Glasers ist mittlerweile sehr technisch geworden.
Meine Fensterscheibe wurde heute mit einem Fußball zerschossen.
Ich werde eine örtliche Glaserei anrufen, um dies zu beheben.
Ich wusste nicht, dass ein Glasermeister gleichzeitig auch Sachverständiger sein kann. Muss man dazu nochmal eine extra Ausbildung durchlaufen? Ich überlege nämlich ein Praktikum in einer Glaserei zu machen.
Interessant, dass die Arbeit eines Glasers so vielseitig ist. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Glaser auch solche LED-Dinger ins Treppenhaus einbaut. Ich habe nur einmal einen Glaser beauftragt, als wir eine neue Glastür gebraucht haben.