Marei Blischke und Ole Greifsmühlen, Swingtanzlehrer
Ole: Ich bin Vater von zwei Kindern, wohne mit meiner Familie in Finkenwerder und arbeite dort an einer Grundschule als Erzieher.
Marei: Ich arbeite drei Tage die Woche in einem Sportverband und organisiere Kinderturnveranstaltungen.
Beide: Wir unterrichten drei Tage die Woche Lindy Hop und andere Swingtänze, Montag, Dienstag, Mittwoch, und dann oft am Wochenende, das sind dann eher Tagesworkshops. Montag, Dienstag, Mittwoch ist abends, jeweils zwei Kurse. Den Unterricht machen wir immer zu zweit. Es gibt in Hamburg zwei größere Organisationen: die Swingwerkstatt, das ist ein Zusammenschluss von Trainern, und die New Swing Generation, das ist ein gemeinnütziger Verein. Das Interesse am Lindy-Hop wächst immer noch, seit Jahren geht es nur bergauf. Das ist natürlich toll für uns, aber auch echt erstaunlich.
Mittwochs sind wir bei der New Swing Generation mit einem festen Kurs; Montags und Dienstags unterrichten wir bei der Swingwerkstatt. In der Swingwerkstatt gibt es einen Pool von Trainern, und wir tauschen die Teams. Wir wechseln die Zusammensetzung untereinander und auch die Gruppen, sodass wir alle Leute kennenlernen, alle Tanzschüler, und in unterschiedlicher Zusammensetzung tanzen.
Beim Swing wird sowieso viel getauscht, das ist ein sogenannter Social Dance. Das heißt, man kann auch ohne Partner auf eine Party gehen – netter ist es natürlich mit Freunden, oder mit Leuten, die man aus dem Kurs kennt – aber man muss nicht mit einem festen Partner kommen, sondern geht halt rum und fordert Leute auf. Das finde ich sehr schön, dass man immer tauscht und viele Leute kennenlernt. Es ist schon so, dass es mehr Frauen gibt, die Lust auf Tanzen haben, und weniger Männer. Dadurch fangen die Frauen dann manchmal auch an zu führen. Wir nennen das Leader und Follower, weil es nicht geschlechtsspezifisch sein soll. Jeder soll führen oder folgen können. In Hamburg gibt es mittlerweile einige Frauen, die führen können. Es macht ja Spaß, beide Seiten zu können, dann steht man nicht immer nur am Rand, sondern kann auch auffordern.
Privat sind wir kein Paar. Aber wir kennen uns mittlerweile mit all unseren Stärken und Schwächen ziemlich gut und so kann auch einer mal schlecht gelaunt sein und das dann rauslassen, z.B. beim Training. Wir sind natürlich auch super aufeinander eingespielt. Das passt total. Wenn es geht, unterrichten wir immer zusammen, das ist optimal für uns. Wir kennen uns auch vom Tanzen. Und alle Wochenendworkshops, die wir machen, auch außerhalb Hamburgs, machen wir zusammen. Da unterrichten wir nicht mit anderen Partnern. Beim laufenden Unterricht schon.
In Herräng in Schweden, etwa hundert Kilometer nördlich von Stockholm, gibt es immer im Sommer ein großes fünfwöchiges Lindy-Hop-Camp, das ist echt das Paradies. Für Lindy Hopper ist es der Himmel auf Erden, danach weiß man nie, wie man ins normale Leben zurückkehren soll. Dass das in Schweden ist, liegt daran, dass die Schweden das Revival dieses Tanzes in Europa sozusagen initiiert haben. Es gab ja eine ganze Zeit, wo kein Swing mehr getanzt wurde. Ein paar Schweden haben sich dann alte Clips angeguckt, ich glaube, das war um ’78, und fanden das so großartig, diese Energie, die da versprüht wurde, dass sie in die USA gefahren sind, nach New York, und die Tänzer von damals gesucht haben. Frankie Manning, der der Ambassador des Lindy Hops war, hat damals schon nicht mehr getanzt, sondern bei der Post gearbeitet. Mit dem Niedergang der Big Bands und der Weiterentwicklung der Musik wurde eben auch nicht mehr Lindy Hop getanzt. Frankie Manning und andere wurden gefragt, ob er nach Schweden kommen und ihnen den Tanzs beibringen kann. Am Anfang wussten die alten Tänzer gar nicht, wie sie das machen sollten, weil sie selbst nie in eine Tanzschule gegangen sind. Sie dachten, was sollen wir euch denn da zeigen, das ist halt so entstanden. Das kam damals einfach so, mit der Musik.
Dabei haben sie damals durchaus professionell getanzt. Frankie Manning mit den »Whitey’s Lindy Hoppers« hat den Lindy Hop in den USA verbreitet. Aber es gab keinen Unterricht, sie sind auf Partys gegangen, in die Ballrooms, die waren teilweise häuserblocklang in Harlem, und da haben sie getanzt. Sie haben es nicht so gelernt wie wir heute.
Der Lindy Hop wurde lange fast ausschließlich von Schwarzen getanzt. Die Leute haben die Tänzer gesehen und versucht, es zu kopieren. Die Gruppe um Frankie Manning hat sich als Showtruppe Routines ausgedacht und auf die Musik das getanzt, was ihnen dazu eingefallen ist. Und dann haben sie natürlich neue Moves und Routines kreiert, die man jetzt auch wieder tanzt, weil sie zum Beispiel in Filmen vorkamen. Sonst wäre das alles vergessen. Die Big Apple Routine zum Beispiel, die sieht man im Film »Keep punching«. Der Klassiker ist »Hellzapoppin«, das ist die bekannteste Partner-Sequenz, die ist unfassbar schnell. Man denkt, das ist schneller gespult, wenn man es auf youtube anguckt. Geht brutal ab.
Die große Zeit war in den dreißiger, vierziger Jahren. Ich glaube, 1927 ist der Lindy Hop zum ersten Mal so betitelt worden, nachdem Lindbergh den Ozean überflogen hatte. Damals hieß es, unser Tanz ist genauso schräg und durchgeknallt wie Lindbergh. In der Zeit ging das los.
Als die Tänzer von früher nach Schweden geholt wurden, waren sie natürlich schon alt. Frankie Manning muss schon Mitte/Ende sechzig gewesen sein, als er zum ersten Mal nach Schweden kam. Und er ist bis zum Schluss, eigentlich bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren, jedes Jahr wieder nach Schweden gekommen. Sein Geburtstag wird jedes Jahr von der Szene gefeiert. Dieses Jahr wäre er hundert Jahre alt geworden. Man findet auf Youtube viele Videos mit dem Titel »Happy Frankie«.
Im Lindy Hop kommen die Tänze zu Jazz- und Swingmusik zusammen, die seit den 1920er und 30ern aufgekommen sind. Der Charleston war damals auch ganz groß. Im Lindy Hop gibt es auch Elemente von Charleston. Ich weiß nicht, wie sich der Begriff Lindy Hop schließlich durchgesetzt hat, aber er verbindet die Tanzstile, die zu Swingmusik getanzt werden.
Man sagt oft einfach »Swing«, weil die Leute dann gleich eine Vorstellung haben. Die Musik, die Klamotten. Aber Swing ist eigentlich die Musik. Die Tänze sind Lindy Hop, Charleston, Balboa, Solojazz.
Balboa tanzt man auch zu Jazzmusik, zu schnellerer Swingmusik, etwa von Django Reinhardt, der sogenannte Gypsy Swing. Der Balboa ist entstanden, weil die Ballrooms irgendwann so voll waren, dass man keinen Schritt mehr machen konnte. Und so kamen die Paare immer enger zusammen. Balboa ist ein unglaublich enger Tanz, wo man nicht viel auseinandergeht, weil einfach kein Platz mehr war. Und da haben sie angefangen, nur noch sehr schnelle, kleine Schritte zu schnellem Tempo zu tanzen. Sieht super aus, wenn man das gut kann und wenn das Tempo dann auch wirklich schnell ist.
Shim Sham ist ein Linedance, eine Routine, die man nicht mit Partner tanzt, sondern jeder für sich. Der Shim Sham kommt eigentlich aus dem Stepptanz, das ist die Solo-Choreografie, die auf jeder Party weltweit getanzt wird, zu einem bestimmten Song. Wenn der angeht, wissen sofort alle: jetzt geht’s los mit den Moves. Das verbindet total.
Es ist eigentlich keine bestimmte Szene, die sich da beim Swing trifft. Aber der Tanz hat so einen Sog. Man verbringt ziemlich viel Zeit miteinander, wenn man sich nicht nur zum Tanzen trifft, sondern auch privat etwas zusammen macht. Oder man fährt zusammen zu Workshops oder so.
Wenn man sich auf Workshops wiedertrifft und man erzählt von seinem Privatleben, dann kommt manchmal die Frage: wie, du hast noch Freunde außerhalb des Tanzens? Und Urlaub, du machst noch anderen Urlaub und fährst gar nicht nur auf Tanzworkshops? Das kommt wirklich häufig. Dass Leute in diese Blase eintreten und sich dann das komplette Leben da abspielt. Für uns gibt es allerdings noch ein Leben außerhalb des Lindy Hops.
Hier in Hamburg gibt es nicht das eine Lokal, das ausschließlich Swingpartys macht. Aber es gibt einen Abend pro Monat im Stage Club, dann gibt es Partys auf dem Kiez in ein paar Kneipen, im Lokal, im Komet, im Haus III&70. In Berlin gibt es zum Beispiel Clärchens Ballhaus, da findet regelmäßig was statt. Das ist eher abgescheddert, aber total schön. Oder im Admiralspalast, wo Schickeres stattfindet. Die haben viel mehr Möglichkeiten. Aber sowas, wo man sagen würde: Das ist der Savoy Ballroom von heute, das gibt es nicht.
Man kann in Hamburg aber immerhin beinahe jeden Abend irgendwo Swing tanzen gehen. Ab Mittwoch geht es los.
Mir tut es immer ein bisschen weh, wenn man sagt, der Swing liegt gerade im Trend. Momentan heißt es oft, Swing ist ja so im Kommen, da müssen wir was draus machen! Da werde ich ein wenig genervt, weil ich denke, der Tanz hat doch eine Geschichte, das ist doch etwas Besonderes. Es ist eben nicht irgendein Tanz wie Cha-Cha-Cha, sondern der steht auch für was. Und das macht den Tanz interessant, dass er eine Geschichte hat und dadurch auch Charakter. Der Lindy Hop steht dafür, nicht so gleichförmig zu sein, sich seine eigene Meinung zu bilden, sich nicht unterzuordnen, sich nicht kleinmachen zu lassen … Der Tanz steht für Lebensfreude gegen die Umstände. Gerade hier in Deutschland, und auch speziell in Hamburg, gehörte während des dritten Reichs schon eine Menge dazu, zu dem zu stehen, was nicht von den Nazis geduldet wurde. Wenn die jungen Leute sich weiterhin zum Tanzen und zum Musikhören getroffen haben, bestand immer die Gefahr, dafür festgenommen zu werden. Unter dem Aspekt hat Lindy Hop und Swing eine Menge mit Freiheit zu tun, was der Tanz absolut wiederspiegelt.
Es geht auch immer viel um Improvisation. Das ist ein essentieller Bestandteil dieses Tanzes, dass man miteinander und mit der Musik spielt. Aber das stellt man erst später fest; erstmal lernt man bestimmte Grundgerüste. Wenn du die hast, dann kannst du sie wieder einreißen, und dann geht’s eigentlich erst los. Manchmal geht das Improvisieren auch mit unerfahrenen Tänzerinnen, die aber ein Rhythmusgefühl und Tanzerfahrung aus anderen Tänzen haben. Also Tänzerinnen, die darauf eingehen, auch wenn sie vielleicht erstmal überrascht sind. Dann macht es richtig Spaß. Wenn du die Musik hörst und dazu improvisieren kannst oder einfach nur Quatsch machst. Und von der Partnerin auch mal was angeboten kriegst. Wenn die Frau allem nur folgen würde, was der Mann führt, dann wäre es irgendwann langweilig.
Die meisten Competitions sind sogenannte Jack-and-Jills. Das bedeutet, dass die Paare, die da zusammen tanzen, sich nicht kennen, sondern zufällig zugeordnet werden. Man kann also keine Routine abtanzen, weil man den Partner nicht kennt. Da geht es manchmal sehr basic los, ganz normal, der Typ macht so seine Sachen, sie macht mit, und auf einmal gibt sie was rein, und er nimmt das an – und dann geht es richtig ab.
Aber die Partnerin muss dazu auch den Freiraum haben. Wenn man einen Tänzer erwischt, der einem keinen Freiraum gibt, wenn jemand eine ganz bestimmte Vorstellung hat, wie der Tanz ablaufen soll, dann hat man auch keinen Freiraum. Das geht also nur auf Gegenseitigkeit. Jeder gibt ein bisschen Freiraum, und man selber muss auch was einbringen, damit eine Art Unterhaltung stattfindet.
Das Lied tanzend zu interpretieren, und nicht einfach abzutanzen, das ist wichtig. Das erzählte Lennart Westerlund aus Schweden, der neulich hier war und einen Workshop gegeben hat – das ist der Typ, der Herräng mit ins Leben gerufen hat, und der früher noch viel mit den Originaltänzern getanzt hat. Er hat mal mit einer der älteren Tänzerinnen tausend Figuren getanzt, bis sie zu ihm gesagt hat: Mann, ihr Europäer immer mit euren patterns, immer nur Figuren! Das ist doch ein Rhythmustanz. Hör mal auf die Musik, mach mal weniger. Und das hat er sich sehr zu Herzen genommen, dass es darum geht, die Musik zu interpretieren.
Schick zu sein und sich schick anzuziehen für eine Party, das gehört auch dazu. Wenn es eine Liveband gibt, dann macht man sich schick. Aber das Tolle am Lindy Hop ist, dass er lebt. Dass er nicht so verstaubt ist und man nur in Vintage-Klamotten hingehen kann. Man kann auch in Jeans und T-Shirt zu einer Party gehen, alle sind willkommen, egal, wie man da auftaucht. Das macht es sehr entspannt, du musst dich nicht unter Druck setzen. Wenn du heute Abend keinen Bock auf das schicke Kleidchen hast, dann kannst du auch einfach so gehen.
Es ist ein sehr lässiger Tanz. Und es ist schön, dass der Tanz sich durch dieses Revival und durch die neuen Tänze, die zwischenzeitlich dazugekommen sind, immer noch weiter entwickelt. Leute, die zum Beispiel Hip Hop getanzt haben, was es damals noch nicht gab, bringen manchmal Elemente daraus mit in den Tanz, und dadurch entstehen neue Stile und neue Figuren. Es entwickelt sich immer weiter. Aber es bleibt bei der Originalmusik.
Der Tanz ist ziemlich wild. Wenn wir heute diese ganzen Würfe lernen, da nähert man sich langsam an. Frankie Manning hat mal erzählt, dass sie das damals einfach irgendwie gemacht haben, das wurde nicht groß einstudiert. Die Schellackplatten waren auch irgendwann durch, die konnten das gar nicht immer wieder abspielen wie wir jetzt auf den mp3-Playern. Sie hätten immer wieder neue Platten kaufen müssen, weil die Nadeln die fertiggemacht haben. Und daher hatten sie nicht immer Zeit, das alles einzeln Stück für Stück durchzuüben, sondern das ging wirklich zack und durch. Das, was man in den Filmen sieht, das ist wirklich wild.
Damals war in den USA die Zeit der Depression, den Leuten ging es echt schlecht, aber abends hatten sie eine gute Zeit. Deswegen sind sie alle dahin gegangen. Die wollten mal raus aus dem Alltag, was Schönes machen, sich freuen. In den Savoy Ballroom zum Beispiel konnte auch jeder kommen, ob du schwarz oder weiß warst, und ob du wenig Kohle oder viel hattest. Das war der einzige Ballroom, wo sich Schwarze und Weiße gemischt haben. Sonst war es natürlich strikt getrennt. In den besten alten Clips siehst du aber nur Schwarze.
Tanzunterricht hatten die alle nicht, aber sie haben natürlich abends auf den Partys geguckt, was die anderen eigentlich machen. Und haben sich gebattled, wer jetzt die cooleren Moves aufs Parkett gebracht hat, und wie man das noch toppen kann. Das hat sich richtig hochgeschaukelt.
»Der Lindy Hop steht dafür, nicht so gleichförmig zu sein, sich seine eigene Meinung zu bilden, sich nicht unterzuordnen, sich nicht kleinmachen zu lassen.»
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Jetzt wird in Hamburg auch noch schick und wild getanzt! So langsam überlege ich, ob ich nicht doch noch mal irgendwann in diesem Leben nach HH ziehen muss…
Swing the wing and hip the wip. Klasse, ganz schön wild und subversiv!
Leider hat es der Swing in den 40ern nicht bis an die Schleswig-Holsteinische Westküste geschafft, meine Eltern wussten gar nicht, was sie da verpasst haben und haben noch Polka und Walzer getanzt, auch später in den Fünfzigern. Adolf und seine Propagandamaschine haben da ganze Arbeit geleistet.
Wir planen demnächst mal eine Swing und Lindy Hop Veranstaltung in der Klangbar Bergedorf
Hättet ihr da Lust mal vorweg einen Crashkurs anzubieten. Liebe Grüße und einen schönen Tag wünscht Euch die Klangbar