Max Maack, Weihnachtsmann
Ich habe keine Familie, aber mein Bruder hat eine Familie mit drei Kindern. Irgendwann in den neunziger Jahren fragte er, ob ich den Weihnachtsmann machen kann. Also sagt man, klar, mache ich, besorgt sich ein paar Klamotten, und dann kommt die Nachbarin und sagt: Sie waren ja bei Ihrem Bruder, können Sie bei mir auch vorbeikommen? Und dann fragt die Freundin der Nachbarin an. Und so weiter. Ich habe das nie für Geld gemacht, mit keiner Agentur, sondern nur privat.
Die Eltern sagen mir vorher, was ich den Kindern sagen soll – ob ich das dann mache oder nicht, ist immer verschieden. Ich bin sonst ein sehr ironischer Mensch, aber in dem Job nicht. In diesem roten Outfit erschreckt man die Kinder sowieso schon genug, und dann versuche ich das immer eher runterzudimmen. Man kann mal was anmerken, aber man muss nicht die bösen Sachen sagen. Ich war Anfang Dezember schon als Nikolaus unterwegs, der hat eigentlich noch Knecht Ruprecht als strafende Instanz dabei, aber da muss ich mich ja nicht dran halten. Tu ich auch nicht, den will ich gar nicht dabeihaben. Vor ein paar Jahren wurde ich mal gefragt, wo der denn sei, da habe ich gesagt, der ist im Supermarkt, einkaufen. Täte mir leid. Fertig.
Ich mache keinen Unterschied zwischen Nikolaus und Weihnachtsmann. Ich habe kein Nikolauskostüm mit Mitra und Stab, sondern den amerikanischen Weihnachtsmann in Rot und Weiß. Das geht in Hamburg sehr gut. Die Kinder auf der Straße sagen natürlich auch Weihnachtsmann – der Nikolaus hat hier keine Tradition, den gibt es eher im Süden.
Der Job an sich ist meistens ziemlich routiniert. Aber manchmal passierten auch Szenen … da gab mir zum Beispiel ein kleines Mädchen mal zum Abschied eine Plastiktüte, und ich gucke da rein und sehe: hartes, vertrocknetes Brot. Ich wollte gerade sagen, was soll das denn?, da sagt mir die Mutter schnell, das ist doch für deine Rentiere!
So habe ich das ganz schnöde ein paar Jahre gemacht. Und dann war es mir irgendwann zu blöde, es war mir über, es war nur noch Routine, und ich habe es in zwei Segmente geteilt: Pflicht und Kür.
Pflicht war: ich fahre zu meinem Bruder oder zu irgendwelchen Leuten, die sich das gewünscht haben. Und Kür war – das würde ich mich heute gar nicht mehr trauen – einfach geradeaus fahren, erste Straße rechts, viertes Haus links. Völlig egal, wer da wohnt. Das habe ich dann gemacht. Es war eine irre Überwindung, und ich habe die irrsten Sachen erlebt, von „Erika, hast du den bestellt?“ über „Wenn Sie nicht sofort verschwinden, rufe ich die Polizei“ bis zu „Kommen Sie doch bitte rein“ oder „wir feiern gar nicht Weihnachten, wir sind eine muslimische Familie“ oder „meine Kinder wollten schon immer mal einen Weihnachtsmann sehen.“ Sehr überraschende Sachen. Ich hatte immer einen großen Sack dabei mit irgendetwas drin, Kleinigkeiten, damit ich immer gewappnet war, wenn ich darauf angesprochen wurde. Das war eine schöne Zeit! Weil man nie wusste, was passiert. Ich habe das immer so aus dem Bauch raus gemacht. Da hatte ich sehr tolle Erlebnisse, und das hat auch Spaß gemacht. Sowas kann natürlich auch schiefgehen, aber es ist immer gutgegangen.
Es gibt Freunde von mir, deren jüngste Tochter ist jetzt vierzehn. Die weiß ganz genau, wer ich bin, und dass ich der Weihnachtsmann bin, aber sie hat sich das gewünscht, weil das ein Ritual ist. Sie will gerne, dass ich noch mal komme. Aber im Grunde genommen bin ich durch damit.
Ich habe nichts Bestimmtes, was ich immer sage. Ich lasse es immer drauf ankommen. Ich habe auch so ein riesiges Kontorbuch, das kann ich dann so aufschlagen, wie es der Nikolaus eben macht, aber ohne diese Einschüchterungsgeschichten. Und ich habe einen kleinen Eisbären, der beleuchtete Flügel hat und „Stille Nacht“ spielt – wenn ich den anmache, ist erstmal Ruhe im Saal.
Das Tolle ist, dass man in dieser Maske alles machen kann. Das ist sehr schön. Einmal bin ich vollkostümiert ins Restaurant Nil gegangen, in dem meine damalige Freundin immer an Heilig Abend gearbeitet hat. Da gibt es ein Acht-Gänge-Weihnachtsmenü, ganz ruhige Atmosphäre. Ich habe mir am Tresen einen Espresso bestellt, mit Strohhalm, anders geht das nicht, mit dem Bart. Und dann dreht man sich um und legt die Unterarme so hinten auf den Tresen und schaut in die Runde, und es ist hundert Pro so, dass durch diese Maskerade immer etwas passiert. Und plötzlich sehe ich: irgendwo ganz rechts wird jemand unruhig. Und dann schaue ich rüber und sehe eine erwachsene Frau, die schon halb die Hände hoch hat und den Satz auf den Lippen „ich habe nichts gemacht“. Einfach aus Angst. Eine Wiederbelebung von Kindheitserinnerungen. Man kann das dann brechen, indem man ganz normal mit ihr redet, oder bei Kindern geht man in die Hocke, um auf Augenhöhe zu sein. Ich hatte früher auch vor meinem Weihnachtsmann Angst, das war mein Vater, bis er einmal vergaß, die Gummistiefel auszuziehen. Man muss immer versuchen, Kontakt zu kriegen und dieses Gefälle aufzuheben. Bei einer Erwachsenen lag es mir dann schon auf der Zunge, mal nachzufragen, was sie denn ausgefressen hat. Aber wenn man merkt, dass da wirklich jemand in Not kommt, dann lässt man es natürlich sein. Da war ich immer freundlich und fand das auch am schönsten so. Nur, wenn einen wildfremde Leute auf der Straße anhauen mit „Wo ist mein Geschenk“, da muss man dann auch mal ein bisschen pampig werden.
Jetzt habe ich das alles hinter mir. Pflicht und Kür. Kür mache ich gar nicht mehr, irgendwann war das durch. Das habe ich eine Zeitlang ausprobiert, und dann setzte so eine Erschöpfung ein. Man wird natürlich immer mal wieder gefragt, kannst du nicht doch, und dann mache ich das auch, aber ich mache es jetzt nur noch routiniert. Die Leute stellen ihre Geschenke vor die Tür, und dann gucke ich, wer ist da – es gibt ängstliche Kinder, es gibt vorwitzige Kinder, und ich versuche jeweils, darauf zu reagieren. Die Kinder kennen mich meistens nicht. Man kriegt aber schnell mit, wie sie reagieren. Aber ich bin ein bisschen aus der Puste geraten, da müssen jetzt mal jüngere ran.
Eine Geschichte ist mal passiert, die war in dem Moment gar nicht so lustig. Ich hatte in den Neunzigerjahren einen jägergrünen, uralten Polo. Mit dem fuhr ich die Osdorfer Landstraße runter, die ist vierspurig, und es war menschenleer, niemand unterwegs. Ich wechselte von einer Spur auf die andere und bemerkte auf einmal einen Peterwagen hinter mir, der mich überholte und anhielt. Ein älterer Mann und eine jüngere Beamtin stiegen aus. Die Beamtin kam, ich kurbelte die Scheibe runter, ich war in voller Montur und sagte dummerweise den Satz: „Sie können mich doch jetzt nicht aufhalten, es ist mein wichtigster Tag!“ Und darauf sagte sie: „Aussteigen.“
Auf dem Bürgersteig blieb der erste Passant stehen. Die haben sich natürlich einen gefeixt, das ging ganz schnell, da standen da zehn Leute und guckten, was jetzt wohl passiert. Es eskalierte dann, dem alten Polizisten war es total peinlich, aber die Polizistin wollte mich wirklich anmachen, weil ich auf einer nicht vollen Straße beim Spurwechsel nicht geblinkt habe. Es war eine Gratwanderung, ich fand es erst lustig, aber dann wurde es sehr, sehr ernst. Ich war kurz vor der Festnahme und „sie kommen jetzt mit aufs Revier“. Und dann sagte die Beamtin zu mir, „ich möchte mal Ihren Ausweis sehen.“ – „Habe ich jetzt leider nicht dabei.“ – „Ach was. Dann nehmen Sie mal den Bart ab.“ Und das alles coram publico! Das war so super! Ich hätte hinterher auch Geld verlangen können für die Vorstellung. Es ging dann gerade noch mal gut.
Einmal habe ich auf der Kür-Tour bei einer alten Frau geklingelt, die allein war an Weihnachten, und zwar sicher nicht gern allein. Und die zugleich total misstrauisch war, wer da vor ihrer Tür steht, das habe ich auch sofort geschnallt. Ich habe mit ihr geredet, und es kam dazu, dass sie sagte: gut, kommen Sie doch mal rein. Und dann haben wir vielleicht zwanzig Minuten, eine halbe Stunde miteinander geredet, wie das so ist, Weihnachten allein zu sein, ohne Familie … das war sehr berührend. Ich habe das geilste Schokoladenstück, das ich noch dabei hatte, dagelassen und habe mich sehr artig verabschiedet, und dann habe ich gedacht: heute Abend mache ich nichts weiter, denn das kann man nicht toppen. Ich glaube, sie hat sich sehr gefreut.
Beim Kürteil – zu sagen, ich überrasche mich mal selber, indem ich irgendwo klingele und dann sehe, was passiert, wo ich mich auf völlig unbekanntem Terrain bewege und mich auf etwas einlasse – da habe ich immer wieder Angst gehabt, dass es total in die Hose geht. Und in der Regel war es dann immer gut. Das ist wirklich toll. Ich habe das nicht als Aktionskunst oder sowas verstanden, sondern es war eher, dass ich auch etwas Überraschendes und Schönes erlebe. Weil es etwas anderes ist als das Übliche, hallo, hier sind die Geschenke, tschüss. Das war eben noch ein bisschen was oben drauf.
Am schönsten fand ich eigentlich immer die Maskerade. Die Maske, hinter der ich verschwinde, hinter der ich mich auch traue, mich zu verhalten, wie ich das in normalen Klamotten nicht machen würde. Das ist ein Spiel, wie mit der Frau im Nil, die so nervös wurde – da hat man etwas in der Hand. Man kann das eskalieren lassen, man kann das versuchen runterzudimmen, aber man kann sich in der Rolle bewegen. Das hat mir am meisten Spaß gemacht.
Mit Kindern ist es immer ein bisschen schwierig, denn die sind immer eingeschüchtert von dieser roten Kleidung. Da muss man immer ganz suutsche machen, aber man kann sich immer irgendwie dazu verhalten. Wenn man kostümiert in so einem alten, dreckigen Auto durch Hamburg fährt, wird man an jeder Ampel gegrüßt! Das ist so lustig, Hamburg in nett. Das hat mir viel Spaß gemacht. Man kann auf eine Art in Kontakt treten, die es sonst hier nicht gibt.
Man braucht nur kostümiert auf die Straße zu treten, da bleiben die Kinder schon stehen, alle. Man kann dann sagen, ich hab keine Zeit, oder man sagt, kommt mal her, ich hab was. Ich habe natürlich immer Kleinigkeiten dabei. In dieser Kombination habe ich das schon gern gemacht. Inzwischen habe ich nicht mehr so viel Lust und Energie, die Kinder werden groß, die kriegen bald schon selbst Kinder. Ich lasse das jetzt so austrudeln. Es gibt noch so einzelne Wünsche, die erfülle ich noch. Wenn mich einer fragt, den ich gut kenne, ob ich das nicht machen kann, dann mache ich das natürlich.
Es ist mir nie in den Sinn gekommen, es gegen Geld zu machen, sondern ich habe es immer für andere gemacht, aber auch für mich selbst. Weil es Spaß bringt. Ich könnte nie ein Agenturweihnachtsmann sein.
»Ich könnte nie ein Agenturweihnachtsmann sein.«
9 Kommentare
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- Überraschung! Was machen die da? - […] wir, machen wir eine Ausnahme und schenken Euch ein Interview mit einem … ach, lest selbst, was Max Maack…
- Und noch ein Update bei “Was machen die da” | Herzdamengeschichten - […] Zum neuen Interview bitte hier entlang. […]
- Weekly Leseempfehlung vom 26. December 2014 | off the record - […] Max Maack, Weihnachtsmann | Was machen die da? […]
Ganz wunderbar!
Danke!
Oh, danke!!! :-)
Danke fürs Aufschreiben! Danke fürs Weihnachtsmann-sein.
Die Geschichte hat mir gerade ganz wunderbar zwischen die weihnachtlichen Vorbereitungen gepasst. Dankeschön.
Oh, das ist ja mal eine interessante Variante!
Wir haben für die Schule in den letzten Jahren per Agentur einen Nikolaus gebucht, das macht schon was her! Im Bekanntenkreis konnte das niemand machen und es erstaunt doch, dass auch die Viertklässler immer noch wieder zum Zweifeln gebracht werden mit dem Brauch..
Wow – das find ich jetzt von den vielen, vielen tollen Geschichten hier die schönste. Vor allem die Aktion, einfach mal an beliebigen Türen zu klopfen und Überraschungsweihnachtsmann zu spielen. Wie toll ist das denn? Und wer traut sich sowas überhaupt? Das finde ich total großartig.
Danke für den schönen Artikel – ich hab ja gedacht, am Ende gibts noch ein Foto in voller Montur ;)
Ja, ein Foto in voller Montour waer toll gewesen, aber auch so eine coole Storry. Mein Vater spielt seit Jahren den Weihnachtsmann für die Verwandschaft und Bekanntschaft, bei mir nie, ich waer vermutlich sofort drauf gekommen, aber die anderen Kinder finden ihn immer ganz toll :-)
Hat mich sehr berührt. Habe feuchte Augen und einen Frosch im Hals.
Erst jetzt entdeckt. Toll wiedergegeben. Bei der Geschichte mit der alten Dame hatte auch ich einen Kloß im Hals.