Annette Rufeger, Modedesignerin

Annette-Rufeger-Ernst

Als Ihr gefragt habt: ›Was machst Du da?‹, habe ich mal überlegt, wieviele Jobs ich eigentlich mache. Ich bin ja nicht nur Modedesignerin – das ist ja sowieso schon ein weites Feld, vom Stoffeinkauf über das Schnitte-Machen, Zutaten kaufen, alles zusammenbringen, eine Kollektion entwickeln. Dann kommt die Fertigungstechnik, du musst auch Schneiderin sein. Marketing und Werbung sind wichtig. Und dann habe ich noch den Laden, da bin ich also Einzelhändlerin, Verkäuferin und Modeberaterin und meine eigene Buchhalterin. Das sind alles ganz unterschiedliche Jobs.

Annette-Rufeger-Anzeichnen

Ich schneide eine Jacke zu. Dazu lege ich die Schnittteile im Fadenverlauf direkt auf den Stoff. Es gibt auch eine Schnitttechnik, die mit Schrägen arbeitet, den »Bias-Cut«. Aber für diesen Blouson brauche ich den Fadenlauf parallel zur Webkante. Der Fadenlauf ist auf dem Schnittteil eingezeichnet.
Wir arbeiten ziemlich zeitnah, die Jacke ist für dieses Frühjahr. Ich habe nicht so einen langen Vorlauf, da ich nicht auf Messen gehe, und weil wir wirklich hier produzieren. Wir schneiden es zu, dann bringe ich morgen alles zum Schneider, und er näht die Sachen innerhalb von zwei Wochen. Es gibt noch die Version, dass ich nur den Schnitt, das Musterteil, die Stoffe und alle Kurzwaren – Reißverschlüsse, Knöpfe und so – zusammenstelle, und dann wird es in eine kleine Näherei in Stettin gebracht. Die machen höhere Stückzahlen, wenn ich zwanzig Blousons haben, oder dreißig. Aber normalerweise mache ich zwei Teile pro Größe und Farbe. Oder vielleicht drei oder vier, je nachdem, was gerade gut geht.

Annette-Rufeger-Knipser

Ich mache nicht für jede Kollektion komplett neue Schnitte. Ich wandle die Schnitte ab oder nehme die Basics, die immer gut laufen. In einem anderen Stoff wirken sie gleich ganz anders.
Ich arbeite mit einer Schnittdirectrice zusammen. Sie macht die Schnitte nach meinen Zeichnungen, und wir fertigen dann diverse Nesselteile und Musterteile an. Da arbeiten wir Hand in Hand. Ich sage vielleicht, der Blouson ist zu lang, den hätte ich gern kürzer, und er soll keine Strickbündchen haben, sondern ein Gummiband, oder ich möchte einen anderen Halsausschnitt haben, solche Sachen. Es gibt natürlich auch Fotos oder Ausrisse aus irgendwelchen Heften … man fummelt sich da so rein, probiert, wie jetzt der Kragen ist, und wie groß oder rund oder eckig er sein soll. Dann kommen die Anproben, und wir stellen fest, dass es so nicht geht. Wir stecken es noch mal um und verändern es immer weiter – manchmal ist das recht langwierig. Bis so ein Blazer steht, das dauert. Zehn Muster sind da nicht selten.

Annette-Rufeger-Kleiderstange

Am allermeisten Spaß macht es, wenn du ein neues Teil genäht hast. Wenn es fertig ist und du siehst: supertolle Hose. Das ist der Hammer! Das ist ein so befriedigendes Gefühl, das ist total toll! Das ist wie Kochen und Essen. Das ist eigentlich der aller-allergrößte Spaß. Das ist es.
Und dann natürlich der Moment, wenn die Kundin aus der Umkleidekabine kommt und großartig aussieht. Das freut mich dann ebenso sehr. Wenn man merkt, dass das Teil erfolgreich ist und die Frauen es lieben.
Natürlich gibt es auch mal Ladenhüter, die nicht so geliebt werden, die sind immer dabei. Das ist schlimm, weil man nicht versteht, warum die Kundinnen es nicht mögen. Wenn man selbst es doch so toll findet! Da hat man dann wohl einfach mal danebengegriffen. Manchmal darf man auch nicht aufgeben, da ist man vielleicht nur eine Saison zu früh oder hat die falsche Farbe oder den falschen Stoff erwischt. Wenn man es dann in der nächsten Saison noch mal anders probiert, geht’s vielleicht.

Mode

Meistens habe ich schon eine Vorstellung im Kopf, wenn ich einen Stoff kaufe. Aber manchmal kaufe ich einen Stoff nur, weil er mir gefällt. Dieser Stoff hier zum Beispiel, daraus kann man Jacken machen oder Röcke, oder … es kann auch sein, dass man noch umschwenkt, weil man merkt, okay, eigentlich brauche ich nicht noch den dritten roten Rock, dann wird es vielleicht eher ein Kleid. Ich spiele gern herum, und die Erfahrung zeigt, das ist das Beste, um neue Ideen zu finden.
Manchmal ist es auch so, dass ich neue Sachen mache für den Sommer, und dann feststelle, ach, das brauchst du eigentlich nicht mehr … dann kommt es halt im nächsten Sommer. Es ist ja alles nicht so supermodisch. Es ist mir wichtig, dass die Kleider nicht schon nach einer Saison alt oder unmodern aussehen. In der Mode geht es wirklich um Entschleunigung und Qualität.

Anette Rufeger (rechts)

Ich liebe Mode! Ich liebe Mode, die Lüste weckt und emotional ist, und an der man Spaß hat. Die man sieht und anziehen will. Das ist eigentlich für mich das, was Mode ausmacht. Dass du ein Gefühl dafür hast und die Freude am Kombinieren. Dass Du dich gut angezogen fühlst und mit den verschiedenen Looks spielen kannst.
Und ich empfinde die Arbeit als unheimlich befriedigend: zuschneiden, nähen, dann hast du etwas fertig, und jemand zieht es an. Natürlich muss Design auch einen Sinn und eine Funktion haben; das ist das Schöne daran, man kann das Produkt wirklich benutzen.
Das ist mein Anspruch: Die Kleidung soll Sinn machen und funktionieren, aber trotzdem etwas Schönes sein, was Emotionen hervorruft und die Frau schön aussehen lässt. Es geht mir darum, dass die Stoffe eine gute Qualität haben, die Schnitte gut sitzen, dass man sich gut darin bewegen kann, dass es bequem ist, aber bitte keine Funktionskleidung. Es soll immer spielerisch sein.
Viele Frauen sollen es tragen können. Ein Kleid zu machen, das nur eine Frau tragen kann, macht für mich keinen Sinn.
Was mir auch wahnsinnig viel Spaß macht, ist, dass das gleiche Kleid an verschiedenen Frauen vollkommen anders aussieht. Das ist fantastisch! Jede Frau bringt ihre individuelle Aura mit in das Kleid. Das Gesicht, die Figur, die Haltung – das macht so viel aus.

Annette-Rufeger-Angepinnt

Eigentlich würde ich gerne auch Sachen für Männer machen, ich finde Männermode manchmal viel interessanter, weil sie noch klarer und reduzierter ist. Deswegen sind meine Sachen oft ein bisschen burschikoser und sportlicher, nicht so mädchenhaft. Aber dafür müsste ich den Laden vergrößern, denn die Jungs wollen ja auch nicht mit drei Hemden und einer Hose abgespeist werden. Bisher ist nur mein Freund in den Genuss der Annette-Rufeger-Herrenlinie gekommen. Männer sind ja noch scheuere Rehe beim Shoppen als die Damen.

Annette-Rufeger-Strahl

„Du musst deinen eigenen Stil haben, das ist ganz wichtig.“

Annette Rufeger

5 Kommentare

  1. Wunderbare Werkstattfotos!Und Portraits. Und überhaupt. Beseelt!

  2. Hi Annette,
    schöner Text! Wenn ich es in diesem Leben jemals wieder aus St.Georg rausschaffe, komme ich bei Dir vorbei.
    Danke übrigens für die Empfehlung von SOPHIE an Ulrike!
    LG, Susanne

  3. So ein schönes Interview – und sehr schöne Fotos! Und ich liebe mein schönes blau-rotes Karo-Sommerkleid, das extra für mich passend gemacht wurde! <3

  4. Hallo, würden Sie mir vielleicht den Namen der Näherei in Stettin verraten? Ich bin auf der Suche nach einer Näherei für größere Stückzahlen.
    Viele Grüße
    Nadine Schmidt

  5. Dein Job klingt unglaublich vielseitig. Das war es, was mich auch sehr daran gereizt hat, denn ich habe auch überlegt, Modedesign zu studieren. Aber letzten Endes haben alle gemeint, das sei nichts für mich. Ich glaube, das war auch richtig, weil ich handwerklich eine Null bin. Heute arbeite ich als Sekretärin und bevor jetzt alle langweilig schreien: Es kann zwar langweilig sein, aber das kommt auf das Unternehmen an.

    Grüße, Susi

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  1. Eine kleine Modegeschichte des Herrn B. | Herzdamengeschichten - […] habe im letzten Jahr einmal für Annette Rufeger fotografiert und sie gerade einmal für “Was machen die da” besucht,…

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