Matthias Koitzsch, Wiesenvogelschutz
Wir befinden uns hier in der Nähe von Lüdershausen in der Winsener Elbmarsch, hier sieht es aus wie überall: nicht besonders interessant. Die Landwirtschaft ist intensiv, Raps, Mais, Grünland. Die Gegend hier liegt fast auf Normalnull, sie gehört zu den tiefsten Gegenden Norddeutschlands. Es ist relativ nass – früher war es noch viel nasser, aber das hat man irgendwann in den Griff bekommen, was man zum Beispiel an den Gräben erkennen kann. Jetzt hat es gerade geregnet, aber der Grundwasserstand ist locker einen Meter unter Flur. Das war früher anders. Früher war es hier so nass, dass nichts anderes als Grünlandnutzung möglich war, und hier haben viele Wiesenvögel gelebt. Die mögen nasse Wiesen nämlich. Hier wird jetzt aber massiv entwässert. Diese ganzen Flächen haben ein unterirdisches Drainagesystem, das das Wasser in die Gräben und in die Flüsse ableitet, damit der Mensch ackern kann. Denn ackern will der Mensch.
Das Grabensystem wird jedes Jahr wieder freigekratzt, die Drainagerohre werden gepflegt und erweitert, sodass die Wiesen immer trockener werden. Vor zwei Jahren, als es im Frühjahr sehr trocken war, hast du hier richtig Schwundrisse gesehen. Da brach der Boden auf, schrumpfte zusammen und wurde bretthart. Das war ein ganz schlechtes Jahr für die Kiebitze. Sie haben zwar gebrütet, aber die Jungen sind wahrscheinlich zum größten Teil verhungert.
Es ist also eigentlich ein trauriger Job, den ich hier mache, weil ich dem Verschwinden der Wiesenvögel zuschaue. Wir stemmen uns mit ein paar lächerlichen Maßnahmen dagegen, aber es ist das einzige, was im Moment noch ein bisschen funktioniert.
Da hinten sieht man die nächste Biogasanlage. Die Biogasanlage hat einen unersättlichen Maishunger, und der wird von den örtlichen Landwirten gestillt. Sie kriegen schöne Verträge mit festen Preisen und vielen Jahren Laufzeit, sodass es sich für sie lohnt.
Die Wiesenvögel wissen aber nicht mehr, wo sie hinsollen. Denn die Wiesen gibt es nicht mehr, oder wenn, sind sie zu trocken, sodass nicht mehr so viele Insekten in der obersten Humusschicht sitzen, die sie fressen können. Also weichen die Vögel auf den nächstgelegenen Acker aus.
Die Vögel halten das ja nicht für Acker, die wissen gar nicht, was Acker ist. Sie sehen es nur als Fläche, auf der nichts wächst. Üblicherweise wächst im Frühjahr auf nassen Flächen nur schlecht was, weil da länger das Wasser steht. Das sind genau die Flächen, die den Kiebitz interessieren, deswegen ist er so auf diese Maisäcker fixiert, weil er die für was ganz anderes hält. Man spricht da von einer ökologischen Falle. Er denkt, das ist eine super Fläche für ihn, denn auf nassen Flächen gibt es mehr Nahrung. Er hat keine Ahnung, was als nächstes passiert, fängt an zu brüten, und eine Woche später kommt der Bauer und eggt. Und noch zwei Wochen später kommt er schon wieder und legt den Mais. Wenn der Kiebitz in der Fahrspur brütet, wird er natürlich bei jedem Bewirtschaftungsgang sofort plattgemacht, also wenn gespritzt oder gedüngt wird. Wenn er Glück hat und seinen Platz erst nach dem Maiseinsäen bezogen hat, dann kann es auch mal sein, dass er die ganze Bewirtschaftungsphase durchhält. Aber es ist natürlich alles überhaupt nicht optimal. Es ist nicht nass genug, es gibt nicht genug Futter, es gibt ständig diese Störungen durch die Bewirtschaftung.
Da auf dem Feld sieht man zwei Bambusstockpaare, die habe ich letzte Woche da hingesteckt. Dazwischen sitzen die Weibchen auf den Eiern und brüten, die Männchen stehen ein Stück daneben. Die Frauen sehen immer zu, dass man sie möglichst nicht sieht, die Männer sehen zu, dass man sie sieht. Sie sind auch farblich viel kontrastreicher, man sieht sie sowohl im Sitzen als auch im Flug viel besser. Die Weibchen sieht man normalerweise nicht. Hier sieht man sie nur deswegen einigermaßen, weil das Feld quasi frisch geharkt ist, das ist ein Möhrenfeld. Da klappt das mit der Tarnung dann nicht mehr so gut, wie es eigentlich gedacht ist.
Hier waren immer zwei Kiebitzpaare, und die saßen immer nahezu exakt an denselben Stellen. Man muss wohl davon ausgehen, dass das tatsächlich dieselben Tiere sind, ein paar Jahre werden sie ja alt. Das finde ich absolut bewundernswert, dass sie nicht nur so grob die Region wiederfinden, sondern wirklich genau den Punkt. Okay, man sagt, sie haben einen Kompass und wissen, wo Norden ist, das kann man ja alles noch glauben, aber dass sie so genau Orte wiederfinden, die nicht sensationell anders aussehen als andere Orte, das ist schon erstaunlich.
Seht ihr, jetzt ist er auch schon verschreckt. Das eine Männchen ist weggeflogen. Kiebitze erschrecken sich furchtbar, wenn ein Mensch kommt. Aber solange der Mensch in einem Auto verpackt ist, macht ihnen das überhaupt nichts. Wenn ich wissen will, wo sie genau sitzen, muss ich also möglichst lange im Auto bleiben und mir möglichst genau merken, wo der Vogel sitzt, denn in dem Moment, wo ich loslaufe, ist er auch schon weg und ich muss die Stelle mittels irgendwelcher Landmarken und Tricks wiederfinden. Das geht oft schief, und dann läuft man eine Viertelstunde über den Acker und wieder zurück und hat nichts. Die Nester sind so gut getarnt, die sieht man wirklich nicht. Notfalls fahre ich so lange am Feldrand vor und zurück, bis ich irgendetwas genau in der Achse habe, einen Baum am anderen Ende des Feldes oder so, sodass ich nur aussteigen und genau auf diesen Baum zugehen muss, bis da, wo ich hinwill. Wenn ich ein Nest finde, stecke ich zwei Bambusstangen rein, drei-vier Meter davor und dahinter, damit der Bauer mit dem Trecker beim nächsten Mal drumherumfährt und kein Rührei macht. Wir informieren die Bauern auch, wenn wir auf ihren Feldern Kiebitze gefunden haben. Die Bauern halten sich in der Regel auch daran, wenn nicht gerade jemand auf dem Trecker sitzt, der von all dem überhaupt nichts mitbekommen hat. Manchmal fahren sie auch in der Dämmerung, dann kommt es schon mal vor, dass es schiefgeht.
Normalerweise vermeidet man es natürlich, zu den Nestern hinzugehen, aus allerlei Gründen. Zum Beispiel, weil man mit seinen Schritten auch Spuren legt, die Waschbären und Füchse angeblich erschnüffeln können, und die sind immer interessiert an so Sachen wie: oh, hier ist einer langgelaufen, da gucken wir doch mal, wo das so hinführt. Es gibt hier in der ganzen Gegend Waschbären. Einen Landkreis weiter südöstlich, im Wendland, ist es schon eine regelrechte Plage, sie fressen alles, besonders gerne die Eier von Vögeln. Hier bei uns ist es eher der Fuchs.
Wenn man ein Nest ausgesteckt hat, stellt man sich höchstens noch mal mit dem Fernglas an den Feldrand und guckt, ob die Vögel noch brüten. Aber man geht nicht mehr hin. Wenn sie nicht mehr brüten, muss man davon ausgehen, dass schon wieder etwas schiefgelaufen ist. Dann kann man die Stangen auch wieder rausziehen, damit der Bauer weiß, dass er da wieder drüberfahren kann. Oder alles läuft nach Plan, dann sind ungefähr nach vier Wochen die kleinen Kiebitze geschlüpft.
Das ist der Wahnsinn, oder? Mir ist wirklich das Herz aufgegangen, als ich so ein Nest das erste Mal gesehen habe, weil das so verletzlich ist, so ungeschützt! Und so wahnsinnig gut getarnt!
Das Wiesenvogelschutzprogramm ist ein Projekt des Landkreises, wir werden vom Landkreis bezahlt, und die Bauern bekommen ebenfalls ein bisschen Geld fürs Drumherumfahren. Nicht viel, aber immerhin. Der Verlust für den Landwirt ist ja nicht besonders groß. Auf diesem Möhrenfeld muss er für die nächsten vier Wochen einen kleinen Schlenker fahren, das ist zu machen. Länger dauert es nicht, bis die Kiebitze hier raus sind. Sobald die Jungen geschlüpft sind, turnen sie irgendwo da hinten am Graben herum, sie müssen den Acker dann nämlich schleunigst verlassen, weil sie hier ungeschützt sind. Die Jungen sind so kleine, plüschige Tennisbälle, die sich auch noch bewegen, das nehmen Turmfalken und Mäusebussarde natürlich gerne. Die Nester hingegen sind mitten auf dem Acker relativ gut geschützt, da kommt kein Räuber hin, es gibt auch keine Mäuse und sonst nichts. Das wäre schon Zufall, wenn sie hier ausgeräubert werden. Die Kiebitze versuchen, diese frühe Phase auszunutzen. Das hat auch damit zu tun, dass sie nicht besonders lange Beine haben und keinen langen Hals, das heißt, wenn die Vegetation zu hoch wächst, sehen sie nichts mehr. Da fühlen sie sich dann nicht mehr sicher, wenn sie keinen Rundumblick haben.
Wir fahren jetzt in so einen Hotspot, eigentlich war das mit die beste Fläche. Da ist noch Wiese, und es ist sehr nass. So nass, dass sogar in den Gräben das Wasser noch fast bis oben steht, auch wenn es mal einen Monat nicht regnet.
Eigentlich ist es so, dass in den Wiesen hier überall mal so ein Tier sitzt. Die Wiesen werden gedüngt, da wird dann später Viehfutter geschnitten, in der Regel zweimal im Jahr. Das erste Mal in ungefähr drei Wochen, wenn es so weiterwächst wie im Moment. Das ist dann ungefähr genau in der Zeit, wenn die Kiebitze in der Schlupfphase sind. Das ist natürlich fatal. Da ist diese Nummer mit den Bambusstangen ganz zweckmäßig.
Ich war vor einer Woche das letzte Mal hier und war ganz entsetzt, weil es ungefähr so aussah wie jetzt, nämlich ziemlich tot. Ich hatte gehofft, dass diese Woche ein bisschen mehr los ist, und ich hoffe immer noch.
Aber das ist ja entsetzlich. Üblicherweise veranstalten die männlichen Kiebitze über den Brutrevieren ihre Schauflüge, sie fliegen wilde Loopings über die Wiesen, zeigen ihre schwarz-weiß leuchtenden Flügel und stürzen sich auf alles, was hier langfliegt, auch Krähen und so. Auf diesen Wiesen brüten normalerweise sechs bis acht oder auch mal zehn Kiebitzpaare. Aber das Drama von letzter Woche setzt sich fort, hier ist gar nichts. In den letzten vier Jahren sind es immer weniger geworden.
Vor drei Jahren hatten wir hier auch noch drei Paare große Brachvögel, das sind die mit dem langen, krummen Schnabel. Das sind auch Wiesenbrüter, noch etwas seltener, noch anspruchsvoller. Die sind hier wirklich kurz vorm endgültigen Verschwinden. Kiebitze sind noch etwas häufiger, aber es geht rapide zu Ende. Ich gehe jetzt mal raus und mache einen Rundumschlag mit dem Fernglas, um mal zu gucken, ob hier überhaupt irgendetwas los ist. Aber das sieht wirklich übel aus. Das war hier die beste Ecke. Spätestens, wenn man mit der Autotür knallt, würden sie normalerweise auffliegen, und dann würden wir sie sehen.
Das da hinten gerade war eine Bekassine, ein kleiner Schnepfenvogel, der hier in den nassen Wiesen rastet, der ist noch auf dem Zug. Auf dem Weg nach Hause, Richtung Nordosten, nach Skandinavien. Das da oben ist ein Mäusebussard.
Das ist hier ja die totale Pleite. Da fragt man sich zwei Sachen: sind die vom letzten Jahr alle hinüber und nicht wiedergekommen? So schnell geht das normalerweise nicht. Oder sind die Bedingungen so schlecht geworden, dass sie sich verdrückt haben?
Kiebitze sind Zugvögel. Sie kommen üblicherweise Ende März nach Hause in ihre Brutgebiete, und dann brauchen sie noch so ein-zwei Wochen, bis sie Eier legen. Normalerweise sind sie sehr brutplatztreu. Das hier ist eine der besten Kiebitzflächen im Landkreis Lüneburg, es gibt hier nur noch sechs oder sieben Gebiete, wo nennenswert welche sind. Eigentlich sind das Koloniebrüter, die sich zusammentun und auf so einer Wiese mit fünf oder sechs Paaren kleine Kolonien bilden. Wenn die Bedingungen aber suboptimal sind, wie auf dem Feld, wo wir vorhin waren, wo nur zwei Paare saßen, dann zerfallen diese Strukturen und die Kolonien. Das ist nicht günstig für die Art, weil sie sich in Kolonien viel besser verteidigen kann, gegen Greifvögel zum Beispiel. Wenn sechs oder sieben von diesen schwarz-weißen Kiebitzmännchen hochgehen und eine Krähe attackieren, dann sind die echt biestig. Gerade wenn die Weibchen festsitzen, also wenn die Jungen kurz vorm Schlupf sind, und ich laufe da über das Feld, dann fliegen die Männchen nicht einfach weg und setzen sich auf die nächste Wiese, sondern die kommen ganz schön nah an mich ran. Wenn die Bedingungen so schlecht sind, dass sie nur noch vereinzelt auf einem Acker sitzen, funktioniert das aber nicht mehr. Das mündet dann alles in einer verringerten Reproduktionsrate.
Wir fahren jetzt mal weg von diesem Ort des Grauens, das bringt’s ja nicht.
Ich habe hier so einen kleinen PDA, der ist ein bisschen steinzeitlich, hat aber ein extrem genaues GPS. Viel genauer als das, was in den Smartphones heute drin ist. Hier sind die Kiebitzpaare aus den letzten zwei Jahren eingetragen, da kann man sich ungefähr vorstellen, was hier los war. Die roten Punkte sind die Kiebitzbruten. Das sieht jetzt viel aus, aber das sind zwei Jahre. Man kann schon sehen, dass es jedes Jahr locker 15-20 Paare waren. Und jetzt hoffe ich, dass dieses Jahr überhaupt noch welche kommen.
In den letzten Jahren haben wir insgesamt immer ungefähr vierzig oder fünfzig Nester ausgesteckt, davon waren viele sogenannte Zweitgelege. Das heißt, der Kiebitz hat es irgendwo versucht, irgendwas ist dazwischengekommen, und dann probiert er es nochmal an einer anderen Stelle. Die Ausfälle sind meistens bewirtschaftungsbedingt, und dann ist die Stelle nicht mehr geeignet. Wenn der Mais zum Beispiel hoch wächst, ist das nicht mehr attraktiv für den Kiebitz. Normalerweise sind die Jungen aber längst geschlüpft, wenn der Mais richtig hoch ist. Der wird in zwei-drei Wochen erst gelegt, dann keimt er irgendwann, und wenn die Maispflanze nennenswert zu sehen ist, sind die Kiebitze längst fertig. Aber Getreide zum Beispiel wächst für den Kiebitz viel zu schnell auf.
Wir fahren jetzt in einen kleinen Windpark, wo einige Kiebitze brüten. Das ist insofern bemerkenswert, als die allgemeine Lehrmeinung für den Kiebitz ist, dass er nicht gerne unter Windrädern brütet, weil die Bewegung ihn stört und er dauernd auffliegt und gar nicht zum Brüten kommt. Dieser Windpark liegt in einem extrem nassen Stück, da ist viel Grünland dazwischen, und Maisäcker, die noch nicht eingesät sind.
Über den Winter ist irgendein Unkraut gewachsen, das ist jetzt kaputtgespritzt worden. Dann wird es so komisch gelb. Die Vögel sind erstaunlich resistent gegen das Gift. Es wird ihnen sicherlich nicht guttun, aber unter anderen Sachen leiden sie deutlich mehr. Kiebitze sind ziemlich hart im Nehmen. Sie können zum Beispiel auch mal zwanzig Minuten die Eier unbebrütet lassen, ohne dass sie gleich auskühlen. Wenn der Kiebitz irgendwo sitzt, und dann kommt der Bauer mit seiner Dusche und sprüht sein Herbizid drauf, dann fliegt er kurz hoch, aber die Eier kriegen es natürlich voll ab, oder die Küken. Aber es bringt sie nicht um.
Das totgespritzte Grünzeug wird dann untergepflügt, und dann sieht es aus wie ein leerer Acker. Und da meinen die Kiebitze, Nester anlegen zu müssen.
Es sind noch mehr Kiebitze hier, als ich bis jetzt ausgesteckt habe. Es wird sich wahrscheinlich noch so zwei, drei Wochen hinziehen, dann sollte ich sie alle haben. Man kann das immer so ungefähr abschätzen, wenn man auf den Acker läuft, um ein Nest auszustecken, dann fliegen sie alle hoch. Dann teilt man die Zahl der Vögel durch zwei, und dann weiß man ungefähr, wie viele Paare auf dem Acker sind.
Ich halte jetzt mein GPS-Gerät hier drüber und speichere das Nest ein. Wenn jemand die Stangen rauszieht oder drüberfährt, dann kann ich zumindest noch mal gucken, ob das Gelege trotzdem noch intakt ist. Und ich gehe auch gerne immer nochmal gucken.
Die Kiebitze legen fast immer vier Eier, das ist ein sogenanntes Vollgelege. Sie legen jede Nacht ein Ei. Manchmal sind es nur drei, wenn es aber noch weniger sind, dann sind sie entweder noch dabei zu legen oder es ist schon etwas schiefgegangen. Oder die Jungen sind schon geschlüpft. Sobald das passiert ist, verschwindet auch das Nest. Die Eierschalen werden von den Altvögeln in winzig kleine Stücke zerbröselt, teils aufgefressen, teils unter dem Nest verscharrt. Bloß keine Spuren hinterlassen. Wenn man später wissen will, ob eigentlich Küken geschlüpft sind, muss man tief graben, und dann findet man winzig kleine Mikrostücke.
(Foto: Matthias Koitzsch)
Es ist immer ein bisschen ein Eiertanz. Wenn man zu oft auf dem Feld rumturnt und dauernd hin- und herrennt, um noch ein Nest auszustecken, dann besteht ein bisschen das Risiko, dass die genervt sind und ein Gelege aufgeben, oder dass sie zu lange vom Gelege runter sind und die Eier auskühlen. Hier habe ich jetzt insgesamt fünf Paare gefunden, zwei weitere werden hier mindestens noch sein. Ich hoffe, dass ich die noch kriege. Falls ich feststelle, dass es richtig viele sind, werde ich den Bauern vielleicht fragen, ob er das ganze Feld die nächsten drei, vier Wochen einfach mal nicht anrührt. Dann kriegt er ein bisschen mehr Geld, weil es ja die ganze Fläche ist.
Man sieht die Vögel wirklich kaum. Wenn ich diese Arbeit mache, bin ich total fixiert auf diese kleinen schwarz-weißen Punkte. Da ist schon ein bisschen Ehrgeiz notwendig. Und Geduld. Optimal ist es, wenn man die Sonne im Rücken hat, so wie jetzt, dann leuchten die weißen Partien am Bauch richtig auf. Dann kann man sie gut erkennen.
Da steht gerade ein Kiebitz im Regen. Was für ein Scheißleben, oder? Tier hin oder her, du sitzt da vier Wochen lang auf so einem Acker, auch wenn es die ganze Zeit durchregnet, das macht doch keinen Spaß. Da habe ich wirklich Ehrfurcht vor. Und die leben ja nicht nur hier, wo es halbwegs gemütlich ist, sondern auch in der hintersten Tundra. Aber denen ist es wohl egal.
Die Arbeit hat mir immer sehr viel Spaß gemacht. Aber leider ist es gleichzeitig frustrierend. Speziell mit den Kiebitzen macht es von Jahr zu Jahr weniger Spaß, weil klar ist, dass ich irgendwann die Segel streichen werde. Der Landkreis hat das Programm vor fünf Jahren gestartet, seit vier Jahren mache ich es im Wesentlichen. Es gibt noch eine andere Ecke, da macht das ein Kollege. Mein Enthusiasmus, dass das etwas bringen kann, ist mittlerweile ziemlich auf Null, weil es ja nicht nur die Landwirte sind, die die Vögel plattfahren, sondern es gibt noch ziemlich viele andere Faktoren, gegen die man nicht ankommt. Der Klimawandel, diese Frühjahrsdürre, die wir jetzt ein paarmal hatten. Auf trockenem Boden kriegen die Vögel ihre Jungen nicht satt und sich selbst auch nicht. Und dann ständig diese Störungen, freilaufende Hunde, Spaziergänger und diese ganzen Viecher, die die Eier auffuttern, im Nachbarlandkreis ist das eine echte Katastrophe. Da machen sie sowas ähnliches wie ich hier, sie stecken die Stangen rein, und eine Woche später ziehen sie sie wieder raus, weil die Waschbären offensichtlich in ganzen Horden nachts über die Wiesen marodieren und alles fressen, was man fressen kann.
Was ich hier mache, ist im Prinzip Ornithologenarbeit. Eigentlich bin ich Landschaftsplaner, ich habe mit einem Biologen und einem Geographen zusammen ein kleines Büro. Wir machen aber alle alles, wir haben uns das gegenseitig beigebracht. Wir schreiben für Behörden und Institutionen Gutachten oder machen ökologische Kartierungen, Pflanzen oder Biotope, geschützte Lebensräume, also die netten Ecken, die noch übrig geblieben sind. Das ist eine ganz erfreuliche Arbeit, zumindest dann, wenn man es mit Leuten zu tun hat, gegen die man nicht anquatschen muss.
Ich habe Landschaftsplanung studiert und wusste im Studium schon bald ziemlich genau, dass ich diese Art Arbeit machen will. Und ich wusste auch schon, mit wem ich es machen will. Wir drei sind schon ziemlich lange befreundet. Und so machen wir jetzt alle auch diese biologischen Jobs. Wenn es dann heißt, guckt doch mal bitte im Gebiet XY nach, ob da die seltene Heuschrecke oder der tolle Schmetterling noch vorkommt, und wenn ja, wie viele und was man tun muss, damit er noch ein bisschen besser leben kann, das sind dann schon sehr schöne Jobs.
(Foto: Matthias Koitzsch)
Bis vor ein paar Jahren hatte ich noch die Illusion, dass das hier etwas bringen kann. Dieses Jahr ist eigentlich das erste Jahr, wo ich kurz vorm Verzweifeln bin.
Es kann auch eine natürliche Schwankung sein, dass es einfach dieses Jahr mal ein paar weniger sind, aber der Trend ist eindeutig. Nicht nur der langfristige Trend, auch der mittelfristige ist schlecht. Die großen Vorkommen solcher Vögel wie Kiebitze in Deutschland sind allerdings ohnehin nicht hier, das ist hier im Prinzip ein kleines Randvorkommen. Das war mal anders, aber es gibt Gegenden in Westniedersachsen, wo es immer noch richtig moorig ist, in der Diepholzer Moorniederung oder so, da hast du quadratkilometerweise pitschepatschenasses Land. Da gibt es nicht nur Kiebitze, sondern auch andere Wiesenbrüter, die hierzulande schon mehr oder weniger verschwunden sind. Uferschnepfen, Bekassinen, Brachvögel in größerer Zahl. Da nimmt der Bund auch richtig Geld für den Wiesenbrüterschutz in die Hand, zusammen mit irgendwelchen Stiftungsmitteln und EU-Fördermitteln. Hier bei uns ist das nicht drin. Hier ist normale Landschaft mit normalen Landwirten, die wollen hier das machen, was sie überall machen, und von daher kommt man sich ein bisschen vor wie Don Quijote.
Man sieht bei dieser Arbeit in einen Abgrund der Evolution. Eine Million Jahre. Das finde ich total ergreifend. Die Vögel stecken in einer ökologischen Sackgasse, weil sie sich verzetteln, weil sie nichts von Landwirtschaft verstehen. Es dauert eine Million Jahre, bis sich herausgebildet hat, dass sie genau das tun, was sie tun müssen. Und dann geht es ganz schnell, dass sie in so einer Sackgasse stecken. Das gibt es bei anderen Tieren auch, zum Beispiel wenn sie in den lumpigen hundert Jahren seit Henry Ford nicht gelernt haben, sich vor Autos in Sicherheit zu bringen und dann massenweise auf den Straßen totgefahren werden.
Bei den Kiebitzen ist es so, sie können nirgendwo hin, es sieht ja fast in ganz Europa so aus. Sie suchen verzweifelt nach den Plätzen, die sich noch am ehesten eignen, und die eignen sich dann nicht wirklich super, sondern gehen gerade noch. Meinen sie. Also fangen sie an mit ihrem Geschäft, und dann kommt einer mit seiner großen Eisenwalze und macht Rührei. Und dann legen sie noch mal, und dann kommt der nächste Trecker, und dann können sie nicht mehr. Und dann fliegen sie wieder nach Nordafrika, und im nächsten Jahr versuchen sie es wieder und sind wieder erfolglos. Und irgendwann sind sie alt und grau und haben keinen Nachwuchs.
»Man sieht bei dieser Arbeit in einen Abgrund der Evolution. Eine Million Jahre. Das finde ich total ergreifend.«
Webseite: Planungsgemeinschaft Marienau
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Wirklich toll so etwas mal zu lesen. Man spürt den Enthusiasmus noch, auch wenn der Trend bedrückend ist. Weiterhin viel Erfolg bei der tollen Arbeit!
Sehr schön, Don Quijote erwähnt und dann kommt gleich eine Windmühle.
Diese Geschichte gefällt mir besonders gut. Die begeisterten Geschichten, die zuerst zu lesen waren, waren schon toll, aber diese Mischung aus Leidenschaft und Verzweiflung, die Matthias Koitzsch hier so klar zu vermitteln versteht, ist besonders berührend. Klingt ein bisschen wie aus einer This American Life-Episode entschlüpft.
Die Kiebitze sind zauberhaft, und ihre Eier ebenfalls. Ich kenne mich mit Vögeln ja nicht so aus und bei uns im theoretisch artenreichen Stadtgarten wohnen nur ein Krähenpaar, ein Elsternpaar, ein paar Amseln, ein Eichelhäher und Meisen; der Kleiber, den es mal gab, ist wohl verstorben. Aber wenn ich Biologin wäre und mit einer Landschaftsplanerin und einer Geographin so ein Büro hätte (was für ein tolles Büro!), dann würde ich auch gerne um Vogelnester herumschleichen und versuchen, ihnen das Überleben zu sichern.
Aber ich weiß einen Ort, nicht weit von hier, da gibt es noch Feldlerchen.
ganz toller Artikel, vielen dank dafür. Aber auch echt traurig …
Trotzdem toll, dass es noch so engagierte Menschen gibt. Meinen Respekt an Herrn Koitzsch und alle Wiesenvogelschützer! :)
Danke für eure Arbeit. Danke dafür das du/ihr eine Arbeit macht die uns alle angeht und von der ich irgendwie zu weit abgekommen bin. Danke das du/ihr dafür sorgt das das war ich bei meinem Sontagsspaziergang sehe nicht nur aussieht wie Natur sondern auch noch etwas Natur ist.
Nicht aufgeben, einfach nur weil es so falsch wäre wenn auch noch die letzten Stimmen dieser Tiere zusammen mit ihnen verschwinden.
Danke für diesen beeindruckenden Artikel. Ganz, ganz toll. Mein Favorit unter den »Was machen die da«.
Schöner Beitrag. Klasse, dass es noch Menschen gibt die sich so für die Natur einsetzen.
Wirklich ein wichtiger Job. Es ist zweifelsohne traurig zu lesen, wie sich der Vogelbestand entwickelt. Aber an Matthias Koitsch hat’s nicht gelegen! Danke!!:-)
Wirklich ein wichtiger Job. Es ist zweifelsohne traurig zu lesen, wie sich der Vogelbestand entwickelt. Aber an Matthias Koitzsch hat’s nicht gelegen! Danke!!:-)